Verhütung leichtgemacht – mit Fisch aus der Ostsee

■ Dioxin-Konferenz in Stockholm: Die Wirkung von Umweltgiften hält über Generationen an

Stockholm (taz) – „Erst testen, dann vermarkten.“ Mit diesem Appell von Roland Johansson von der staatlichen schwedischen Naturschutzbehörde endete eine ExpertInnenkonferenz zum Thema organische Umweltgifte am Freitag in Stockholm. Zuvor hatten sich die Experten auf den Minimalkonsens geeinigt, daß man bei der Markteinführung einer neuen Chemikalie nicht schlampiger sein dürfe als bei der eines neuen Flugzeug- oder Automodells.

Beispiele, wie oft dieser Grundsatz in der Vergangenheit mißachtet worden war, gab es genug. So können einst blauäugig auf den Markt geworfene Chemikalien wie DDT und PCB in in der Natur weiterhin ihre schädlichen Wirkungen entfalten – auch wenn sie in weiten Teilen der Erde längst verboten oder in der Anwendung eingeschränkt sind.

Konkret zeigen sich die Folgen beispielsweise in der Ostsee. Nachdem der Toxikologe Lars Rylander von der Universität Lund die Ergebnisse seiner Untersuchungen publik gemacht hat, empfiehlt die schwedische Gesundheitsbehörde schwangeren Frauen oder solchen, die es werden wollen, nicht öfter als einmal im Monat Ostseefisch zu essen – da der Wasserumsatz im Binnenmeer Ostsee relativ gering ist, weisen die hier lebenden Tiere nach wie vor die weltweit höchsten DDT- und PCB-Gehalte auf. So findet sich PCB, das in den Sechzigern und Siebzigern erst die Seeadler unfruchtbar machte und in den Achtzigern zum Robbensterben führte, auch jetzt noch in viel zu hohen Dosen in Fischen.

Besonders alarmierend: Die Vergiftung der Körper ist nicht nur das Problem der direkt dem Umweltgift ausgesetzten Generation. Lebewesen, die während der schlimmsten Giftjahre an oder in der Ostsee aufgewachsen sind, geben die Schäden an ihre Nachkommen weiter. So hat Lars Rylander Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit bei Frauen von Fischern festgestellt. Sie haben große Schwierigkeiten, überhaupt schwanger zu werden. Ihre Kinder haben ein deutlich niedrigeres Geburtsgewicht als die einer Vergleichsgruppe an der weniger von organischen Umweltgiften belasteten Nordseeküste und sind kleinwüchsiger. Frauen, die als Kinder an der Küste gelebt und viel Ostseefisch gegessen hatten, später aber weggezogen waren und ihre Ernährung umgestellt hatten, hatten die gleichen Probleme. Mehrfach wurden bei der „Dioxin-Konferenz“ daher auch Stimmen laut, den Genuß von Ostseefisch insgesamt zu problematisieren, solange die PCB-Werte nicht weiter gesunken sind.

Damit ist allerdings vorläufig nicht zu rechnen: Nicht nur aus alten Müllkippen und PCB-haltigem Bauschutt erhält die Ostsee stetig PCB-Nachschub. Zumindest in Rußland wird es auch weiterhin produziert.

Ebenso verhält es sich mit Insektenbekämpfungsmitteln wie DDT, Dieldrin und Toxafen, die in Industrieländern schon lange verboten sind, nach wie vor aber in einer Reihe tropischer Länder eingesetzt werden. Entwarnung, so die Teilnehmer der Konferenz, könne es nicht geben. Vor allem, weil man mit wachsender Forschung feststellen müsse, daß die Wechselwirkung der organischen Umweltgifte wesentlich komplexer ist als bisher geahnt. Reinhard Wolff