Der Mann im Fadenkreuz der US-Bomber

■ Ussama Bin Laden gilt als Pate des Terrors. Von Afghanistan soll er die Anschläge auf US-Botschaften organisiert haben. Doch beweisen kann man ihm außer markigen Sprüchen wenig

Er gibt den perfekten Bösewicht. Wenn sich der 40jährige Saudi Ussama Bin Laden interviewen läßt, lehnt an der Wand hinter seinem Rücken eine Kalaschnikow. Der 42jährige klopft dann Sprüche wie: „Wenn jemand einen amerikanischen Soldaten töten kann, ist das besser, als seine Zeit anderweitig zu vegeuden.“

Doch ist Ussama Bin Laden wirklich Auftraggeber der Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania? „Bin Laden will die Zerstörung der USA“, heißt es in einem gestern veröffentlichten Fact Sheet des US-Verteidigungsinisteriums. Doch außer markigen Sprüchen ist ihm wenig nachzuweisen. Würde sich der angebliche Pate des Terrors derzeit in den USA aufhalten, es gäbe keine Grundlage ihn zu verhaften, bemerken US-Juristen.

Ussama Bin Laden verfügt über Milliarden, und dennoch wohnt er in einem Zelt im afghanischen Dschalalabad. Das Geld hat er von seinem Vater geerbt, dem Gründer der Bin Laden Group, eine Baufirma mit besten Kontakten zum saudischen Königshaus. 1979 ging Ussama Bin Laden nach Afghanistan, um die gottlosen Kommunisten zu bekämpfen. Nach der Niederlage der Sowjets kehrte Bin Laden in seine Heimat zurück und entdeckte einen neuen Feind: das saudische Königshaus. Der Monarch und die Prinzen seien korrupt und pflegten einen ganz und gar unislamischen Lebensstil, bemerkte Bin Laden zutreffend.

1991 warfen ihn die saudischen Herrscher aus dem Land. Bin Laden fand Aufnahme im Sudan, von wo aus er vor allem gegen die in Saudi-Arabien stationierten US- Soldaten wetterte. Die „Ungläubigen“ würden die heiligen Städten des Islam beschmutzen.

Im Mai 1996 verließ Bin Laden den Sudan in Richtung Afghanistan. Einige Quellen behaupten, die Regierung habe ihn ausgewiesen. Andere meinen, er sei geflohen, weil seine Gastgeber entschieden hätten, ihn auszuliefern.

Bin Laden zog sich mit seinen drei Frauen und Kindern ins von den radikalislamistischen Taliban kontrollierte Afghanistan zurück. Die Koranschüler, die laut ihren Gegnern einst von den USA unterstützt worden sein sollen, nahmen den Saudi mit gemischten Gefühlen auf. Jedoch gebietet die paschtunische Tradition, jeden Gast vor seinen Feinden zu schützen.

Wann immer in der Welt US- Soldaten getötet werden, bekundet Bin Laden lautstark seine Zustimmung. Als am 25. Juni 1996 eine Bombe vor einer US-Kaserne im saudischen Dahran 19 Amerikaner tötete, nannte er das „lobenswerten Terrorismus“. Heute wird ihm das als Geständnis ausgelegt, er stecke hinter dem Attentat. Nach dem Anschlag konzentrierten sich die USA mit ihren Anschuldigungen jedoch auf den Iran. Die wahren Hintergründe der Explosion von Dahran sind bis heute nicht geklärt.

Seit seinem ersten Aufenthalt in Afghanistan versucht Bin Laden die islamistischen Bewegungen unterschiedlicher Staaten zu einen. 1988 gründete er das Bündnis al- Qaida. Dessen Ziel war es laut Bin Laden, „alle Muslime zu vereinen und eine Regierung zu gründen, die den Regeln des Kalifats folgt“.

Im Februar dieses Jahres erschien dann in der arabischen Zeitung al-Hayat ein außerordentliches Pamphlet. Es sei „individuelle Pflicht eines jeden Muslim, in jedem Land Amerikaner und ihre Verbündeten zu töten – Zivilisten und Militärs“, hieß es in dem mit Fatwa überschriebenen Fax. Als Absender zeichnete eine „Internationale Islamische Front für den Heiligen Krieg gegen Juden und Kreuzfahrer“. Dem Bündnis gehörten nach eigener Auskunft neben Ussama Bin Laden islamistische Organisationen aus Ägypten, Pakistan und Bangladesch an.

Unter dem gleichen Namen ging Anfang dieser Woche bei al- Hayat ein neues Schreiben ein. „Unsere Methode in diesem Krieg ist es, der amerikanischen Regierung mehr und mehr Leichen zu schicken“, heißt es darin. Und weiter: „Kenia und Tansania sind die größten US-Basen gegen Muslime geworden.“ Diese Zeilen können als Bekenntnis zu den Anschlägen auf die beiden US-Botschaften gelesen werden – oder auch nicht. Gestern berichtete die pakistanische Zeitung News, Bin Laden habe kurz vor dem US-Luftangriff erneut zum Heiligen Krieg gegen Amerikaner aufgerufen, zugleich jedoch jegliche Verwicklung in die beiden Anschläge bestritten. Thomas Dreger