"Ich war sofort dafür"

■ Der Historiker Reinhard Rürup zur Entwicklung der Debatte um das Holocaust-Mahnmal und den Problemen mit einem Holocaust-Museum

Reinhard Rürup, 64, ist Professor für Neuere Geschichte an der TU Berlin. Der ausgewiesene Kenner der jüdischen Geschichte war maßgeblich daran beteiligt, daß zur 750-Jahr-Feier Berlins 1987 die Ausstellung „Topographie des Terrors“ gezeigt wurde, die die Verbrechen der Nationalsozialisten zum Thema hatte. Die Ausstellung auf dem Prinz-Albrecht-Gelände, einst Zentrale von Gestapo, Reichssicherheitshauptamt und SS, war so erfolgreich, daß der Senat beschloß, sie zur Dauereinrichtung zu machen und in einem Neubau unterzubringen.

Seit Gründung der Stiftung Topographie des Terrors im Jahr 1992 ist Reinhard Rürup, Gastprofessor in Berkeley, Stanford und Harvard, Oxford, Jerusalem und Sydney, deren wissenschaftlicher Leiter. Seitdem war der Neubau der Topographie des Terrors bereits zweimal vom Baustopp bedroht.

taz: Im April 1997 hieß es, die Topographie des Terrors in Berlin werde in diesem Herbst wiedereröffnet, ein halbes Jahr später war dann von Herbst 1999 die Rede, nun soll es Ende 2000 soweit sein. Wird das ewig so weitergehen?

Reinhard Rürup: Die Verzögerungen sind natürlich bedauerlich, aber sie haben rein technische Gründe. Der Architekt Peter Zumthor will die Stabwerkskonstruktion des Neubaus während einer einzigen Temperaturperiode errichten. Wenn dabei Schwierigkeiten auftauchen, verschiebt sich die Fertigstellung immer gleich um ein ganzes Jahr.

Sie setzen sich seit elf Jahren dafür ein, die Topographie des Terrors zu einer dauerhaften Einrichtung zu machen. Hätte man sich nicht schon viel früher entschließen sollen, eine solche Institution zu schaffen?

Das Projekt Topographie des Terrors ist aus einem Diskussionsprozeß heraus entstanden, Bürgerinitiativen spielten dabei eine erhebliche Rolle. Dieses Umdenken im Umgang mit Geschichte setzte erst Anfang der achtziger Jahre ein. Vorher interessierten die historischen Orte relativ wenig, auch die Historiker nicht. Insofern war das rückblickend nicht viel früher zu erwarten.

Ursprünglich wollte die Initiative um die Journalistin Lea Rosh auf dem Gelände das Holocaust- Mahnmal errichten. Sie haben sich damals heftig dagegen gewehrt.

Bemerkenswert ist dabei, daß die Idee, ein Holocaust-Denkmal zu schaffen, von Lea Rosh zum ersten Mal in einer Veranstaltung der Topographie des Terrors formuliert worden ist. Ich habe mich dagegen ausgesprochen, weil man an einem historischen Ort, von dem der Terror gegen alle Opfergruppen ausgegangen ist, nicht ein Denkmal für eine einzige Opfergruppe errichten kann. Lea Rosh meinte damals, auch die anderen Opfergruppen könnten ihre Denkmäler dort errichten. Aber dann entstehen aus dem Nebeneinander der Denkmäler sehr schnell Hierarchieprobleme. Dann wird nachgemessen, wie hoch das eine ist oder wie teuer das andere.

Wie stehen Sie heute zum Holocaust-Denkmal?

Als die Initiative das Grundstück angeboten bekommen hat, auf dem das Denkmal immer noch errichtet werden soll, war ich sofort dafür. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, daß die Hauptstadtfunktionen von Bonn nach Berlin zurückverlagert werden, erschien und erscheint es mir immer noch sinnvoll, daß es eine sichtbare Geste gibt, daß man sich erinnert, an welchen Ort man zurückkehrt. Und welche Politik hier getrieben worden ist, deren Erbe man anzutreten hat, ob man will oder nicht. Das scheint mir heute noch immer das Hauptargument für ein solches Denkmal zu sein.

Kürzlich hat Ihr Kollege Julius Schoeps gefordert, man müsse erst einmal klären, für wen dieses Denkmal eigentlich sein soll. Ist diese Debatte mittlerweile nicht redundant?

Schoeps hat da nicht ganz unrecht. Es gibt ein Problem, das sich in der Begrifflichkeit äußert. Ursprünglich war vom Holocaust- Denkmal die Rede. Später hat man es Denkmal für die ermordeten Juden Europas genannt. Was natürlich schon etwas anderes ist: Mit einem Denkmal für die ermordeten Juden Europas soll an die Opfer erinnert werden, bei einem Holocaust-Denkmal ist die Tat mindestens in gleicher Weise Gegenstand des Erinnerns. Die Frage, ob man der Opfer gedenken will oder im Land der Täter die Erinnerung an die Tat wachhält, ist nie ausdiskutiert worden.

Was wäre Ihnen lieber, ein Denkmal, das an die Tat erinnert, oder eines, das der Opfer gedenkt?

Wenn wir die Diskussion noch einmal ganz von vorne beginnen könnten, dann wäre es besser, über ein Denkmal für alle Opfer des nationalsozialistischen Terrors nachzudenken. Aber das ist nicht der Fall. Die Diskussion ist jetzt so weit gelaufen, daß eine Entscheidung für alle Opfer als eine Entscheidung gegen ein Denkmal für die Juden interpretiert werden würde. Das macht die Sache so schwierig.

Der Architekt Peter Eisenman hat sich in der Frage ganz gut aus der Affäre gezogen. Er sagt, wer dort wessen gedenkt, bleibt jedem einzelnen überlassen.

Darin liegt auch das Problem dieses Entwurfs, daß er ganz unterschiedliche Interpretationen möglich macht. Das kann man zu seinen Gunsten ins Feld führen, aber es ist immer auch ein mögliches Gegenargument. Ich halte den Eisenman-Entwurf zweifellos für den interessantesten und lohnendsten. Nur kennen wir alle die Überarbeitung nicht, deshalb ist es auch sehr schwer, sich dazu zu äußern.

Sie haben an den drei Kolloquien teilgenommen, die Anfang 1997 veranstaltet wurden. Wie beurteilen Sie den Verlauf der Diskussion seitdem?

Was mich am meisten beunruhigt, ist, daß diejenigen, die das Denkmal wollen, inzwischen fast ausschließlich defensiv argumentieren. Was ein solches großes Projekt eigentlich braucht, daß Menschen sich engagieren, daß sie glauben, daß sie hier etwas Wichtiges und Richtiges tun, und andere davon überzeugen, das findet fast nicht statt. Wenn heute einer die Sache unterstützt, dann sagt er, es muß jetzt endlich eine Entscheidung her, mit der Diskussion geht's nicht weiter. Das ist nicht gerade die ideale Voraussetzung für einen Erfolg des Unternehmens. Insofern deprimiert mich die Debatte der letzten eineinhalb Jahre.

Was halten Sie von der Idee, in Berlin zusätzlich ein Holocaust- Museum einzurichten, wie das die Hannoveraner Initiative um Hans-Jürgen Häßler fordert?

Davon halte ich ganz wenig. Die Idee ist jetzt einige Jahre alt, und die Argumente haben sich nicht sehr verändert im Laufe dieser Jahre. Das Grundmuster besteht darin, daß man sagt, in den USA gibt es nicht nur das große nationale Holocaust-Museum in Washington, sondern viele Holocaust- Museen, und im Land der Täter gibt es keins. Da schreien natürlich viele wohlmeinende Menschen auf, das darf nicht sein, Skandal, wir brauchen auch eins.

Was spricht dagegen?

Erstens gibt es in Deutschland, anders als in den USA, die historischen Orte, an denen die gleiche Arbeit gemacht wird. Die andere Schwäche des Projekts liegt ganz offensichtlich darin, daß man alles gleichzeitig will. Nehmen Sie nur den Titel des Unternehmens, es heißt „Deutsches Holocaust-Museum“, dann kommt in der zweiten Zeile „Zentrum für Dokumentation und Information über Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, und dann in der dritten Zeile „Lern- und Forschungsstätte für Frieden und Humanität“. Man sagt, es geht zentral um den Mord an den Juden, aber man müsse gleichzeitig das Unrecht in aller Welt dokumentieren. Das wird nicht funktionieren.

Also ist es Naivität, die einen dazu verleitet, sich für ein derartiges Projekt stark zu machen?

Es hat sicher mit Naivität zu tun. Die Initiatoren sagen, sie stünden zu niemandem in Konkurrenz. Alle KZ-Gedenkstätten sollten natürlich erhalten bleiben. Das, denke ich, ist sehr oberflächlich argumentiert. Errichtet man ein nationales, zentrales Holocaust-Museum, dann zieht dieses natürlich auch die Aufmerksamkeit auf sich, von den Geldern gar nicht zu sprechen. Man braucht darüber nicht lange zu diskutieren, ein zentrales Museum wird dann auch de facto ein Interpretationsmonopol in Anspruch nehmen. Diejenigen, die das fordern, mögen das guten Gewissens leugnen, ich glaube ihnen das auch, die wollen das nicht, aber es wird sich so entwickeln.

Die Topographie des Terrors beschränkt sich auf die Darstellung von Fakten, ein Museum wie das Holocaust-Museum in Washington arbeitet dagegen suggestiv, die BesucherInnen werden über einen Parcours geschickt, der den Leidensstationen einer jüdischen Familie nachempfunden ist und derlei mehr. Wäre das nicht eine sinnvolle Ergänzung?

Inszenierungen können im positiven Falle das Objekt, um das es geht, stärker zur Wirkung bringen. Wer dagegen mit einer Dokumentation arbeitet, wird zweckmäßigerweise darauf verzichten. Sie können einen Bericht über Massenerschießungen eines Einsatzkommandos nicht im Original in die Vitrine legen, weil er innerhalb einiger Monate verblichen wäre. Das ist der museumspraktische Aspekt. Sie können aber auch sachlich argumentieren. Erschießungsfotos zu inszenieren, wäre obszön. Je dramatischer der Text oder das Bild ist, um so mehr sollte man es für sich sprechen lassen und es nicht durch eine Inszenierung überhöhen oder in andere Zusammenhänge stellen.

Im Washingtoner Museum gibt es einen Gang, der bis unter die Decke voll gehängt ist mit Fotografien. Ich stelle mir das schon sehr wirkungsvoll vor, da durchzugehen.

Das ist die Reaktion von allen Leuten, die dort waren. Andererseits werden damit die Bilder auch entwertet. Ich glaube, daß man das Individuelle herausstreichen muß, um zu begreifen, was das Massenhafte an diesem Verbrechen war. So eindrucksvoll das ist, ich selber würde Fotos von Ermordeten nie als Tapete benutzen.

Gerade in Berlin existieren inzwischen eine ganze Reihe von Gedenkstätten, die an den nationalsozialistischen Terror erinnern sollen. Es gibt Leute, die sagen, daß das irgendwann inflationäre Züge annimmt.

In diesem Fall erinnere ich gern an die Kriegerdenkmäler in Deutschland. Fast jedes Dorf hat eines, für den Krieg von 1870/71, für 1914/18, für 1939–1945. Allein in Hannover beispielsweise, das hat ein Kollege unlängst festgestellt, gibt es rund dreihundert solcher Denkmäler. Da sagt keiner, wir hätten zu viele. Interview: Ulrich Clewing