Bin Laden verkündet den Beginn des Krieges

■ Der US-Verbündete Pakistan reagiert schärfer auf den amerikanischen Angriff vom Donnerstag als das benachbarte Indien, das sich selbst als Zielscheibe des Terrorismus ansieht

Neu-Delhi (taz) – Der von den USA als Drahtzieher für die Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania verdächtigte Ussama Bin Laden hat zum Krieg gegen die USA aufgerufen. Am Freitag und Samstag ließ er über pakistanische und arabische Mittelsmänner verbreiten, der Krieg habe jetzt erst begonnen. Alle Muslime sollten zu den Waffen greifen, um gegen die USA und die mit ihnen verbündeten arabischen Staaten zu kämpfen.

Die 79 Tomahawk-Raketen haben zwar ein wichtiges Ausbildungslager Bin Ladens in Afghanistan getroffen, aber er selbst war laut Angaben der radikal-islamistischen Taliban, die das Land größtenteils beherrschen, bereits in Sicherheit gebracht worden. Die meisten Opfer (insgesamt 26 Tote) soll der Angriff auf ein Trainingslager der Harkat-al-Mudschahedin gekostet haben.

Diese Gruppe, die sich Harkat-al Ansar nannte, bevor sie von den USA letztes Jahr auf die Liste von Terrororganisationen gesetzt wurde, operiert vor allem im indischen Teil von Kaschmir. Sie soll für die Entführung und vermutlich auch Ermordung von fünf westlichen Touristen vor drei Jahren verantwortlich sein. Ein Harkat-Vertreter schwor am Samstag in Islamabad Rache für den Tod „unschuldiger Zivilisten“.

Auch die Vertreter der Taliban bezeichneten, ähnlich wie alle islamischen Parteien in Pakistan, die USA als den eigentlichen Terroristen. Eine Auslieferung Bin Ladens lehnten sie ab. Der Mörder des italienischen UNO-Obersten, der am Freitag in Kabul erschossen worden war, wurde nach Angaben eines Taliban-Sprechers verhaftet und soll vor ein Militärgericht gestellt werden.

Pakistanische Zeitungen sind der Meinung, daß die Taliban über den bevorstehenden Angriff von der pakistanischen Regierung gewarnt worden sei, die zweifellos davon gewußt habe. Sollte dies zutreffen, würde das einmal mehr den riskanten Spagat illustrieren, den Pakistan gegenwärtig vollführen muß, um die Amerikaner bei Laune zu halten, ohne die Taliban zu verprellen. Der pakistanische Premierminister Nawaz Sharif und andere Minister blieben bei ihrer Verurteilung des Angriffs. Doch auch die Oppositionsparteien und die Presse beharrten auf ihrer Überzeugung, daß die Regierung die Amerikaner willentlich hatte gewähren lassen. Sie halten daran fest, daß beim Angriff vom 20. August auch Flugzeuge zum Einsatz gekommen seien.

Nach einem Telefongespräch zwischen US-Präsident Bill Clinton und Nawaz Sharif wurde allerdings die Meldung dementiert, wonach eine irregeleitete Rakete in Pakistan eingeschlagen sei und sechs Menschen getötet habe. Die rasche Zurücknahme dieser vom Regierungssprecher am Freitag verbreiteten Nachricht trug dazu bei, daß die zahlreichen Demonstrationen am Wochenende von der Polizei weitgehend unter Kontrolle gehalten werden konnten. Gestern wurde der Geheimdienstchef wegen der Falschinformation entlassen.

Paradoxerweise fällt die Kritik in Indien bedeutend sanfter aus als im Falle des mit den USA verbündeten Pakistan. Premierminister A.B.Vajpayee zeigte am Samstag sogar ein gewisses Verständnis für die Aktion der USA, als er sagte, sie sei schließlich die Reaktion auf einen schweren Terrorakt gewesen. Indien sieht sich als erstrangige Zielscheibe des internationalen Terrorismus, vor allem von dessen islamischen Ablegern. Politiker und Medien wurden daher nicht müde, darauf hinzuweisen, daß der islamische Terrorismus in Pakistan und Afghanistan systematisch gefördert werde. Die westliche Öffentlichkeit, meinte etwa der Kommentator der angesehenen Tageszeitung The Hindu, sei zuerst der Mär vom Befreiungskampf in Afghanistan auf den Leim gegangen, und wiederhole nun ihren Fehler im Falle Kaschmirs. Allerdings, so der Sprecher des Außenministeriums, seien Bombeneinsätze gegen ein Land nicht die Antwort. Der Terrorismus könne nur durch internationale Zusammenarbeit wirksam bekämpft werden. Bernard Imhasly