Rot-Grün in Hamburg kriegt gerade so die Kurve

■ Sozialdemokraten und Grün-Alternative Liste (GAL) haben ihren Streit über die Volksgesetzgebung beigelegt. Für Volksentscheide sollen die Hürden künftig niedriger sein

Hamburg (taz) – Über sechs Stunden belagerten am Samstag die Presseleute den Senatstrakt im Hamburger Rathaus. Hinter schweren Eichentüren tagte zum ersten Mal seit Bestehen der rot- grünen Regierung der Koalitionsausschuß – das höchste Krisengremium. Fünf Wochen vor den Bundestagswahlen waren SPD und Grün-Alternative Liste (GAL) nach monatelangem Streit in eine scheinbare Sackgasse geraten. Die zentrale Frage lautete: Wie gewollt ist Volkes Wille? Und: Nach welchen Kriterien soll er ermittelt werden?

Die direkte Demokratie wurde erst vor einem Jahr an der Elbe eingeführt. Und ausgerechnet der erste Volksentscheid ist der zum Volksentscheid selbst. Die Initiative „Mehr Demokratie“ brachte den Stein ins Rollen und erzielte in den ersten beiden Stufen einen derart atemberaubenden Erfolg, daß die beiden großen Volksparteien die Initiative nicht länger ignorieren konnten. Am 27. September findet die eigentliche Abstimmung, der Volksentscheid, statt. „Mehr Demokratie“ hat ein Gesetz entworfen, das die Hürden für die Volksgesetzgebung radikal abschafft. Egal wie viele Wahlberechtigte an der Abstimmung teilnehmen, die Mehrheit wird Gesetz.

„Das ist des Teufels“, befand der Erste Bürgermeister Ortwin Runde (SPD). „Volkes Wille ist nicht von Natur aus gut“, warnte auch der SPD-Verfassungsexperte Jan Ehlers. Würde die BundesbürgerInnen etwa über die Todesstrafe abstimmen, wäre er nicht abgeneigt zu glauben, daß es dafür eine Mehrheit gibt. „Das Volk entscheidet so gut und so schlecht wie Politiker auch“, ist hingegen die Meinung, die der GAL-Verfassungsexperte Martin Schmidt vertritt. In Bayern, wo es keine Hürden bei der Volksgesetzgebung gibt, funktioniere es ja schließlich auch. Oder sei der Freistaat etwa dem Chaos anheimgefallen? Ein Volksentscheid, egal zu welchem Thema, fördere die politische Diskussionskultur.

Die Grünen für „Mehr Demokratie“, die SPD dagegen – der Krach war da. Eine Krisensitzung jagte die nächste. Am Wochenende nun haben die Koalitionäre einen Kompromiß ausgehandelt, der Mindestbeteiligung und Mindestzustimmung kombiniert, also Hürden beibehält. Bei verfassungsändernden Volksentscheiden müssen künftig mindestens 40 Prozent der wahlberechtigten Hamburger zustimmen (sogenanntes Zustimmungsquorum). Bisher waren es 50 Prozent. Bei Volks- und Bürgerentscheiden, die nicht verfassungsändernd sind, sollen statt bisher ein Viertel der Wahlberechtigten künftig nur noch 20 Prozent zustimmen.

Die Regelung ist zwar nun so kompliziert, daß sie jenseits der Fachleute niemand mehr versteht, aber SPD und GAL sind glücklich. „Es ist ein faires Ergebnis“, freuten sich unisono SPD-Parteichef Jörg Kuhbier und seine grüne Amtskollegin Antje Radcke. Nun müssen nur noch die eigenen Parteimitglieder auf Linie gebracht werden: bei der GAL die Mitgliederversammlung, bei der SPD der Landesausschuß.

Viel Zeit bleibt dafür nicht. Über den Vorschlag des Koalitionsausschusses soll die Bürgerschaft bereits am Mittwoch abstimmen. Silke Mertins