Ed Fagen will Degussa enteignen

■ Der amerikanische Anwalt der Holocaust-Opfer fordert das Vermögen des Konzerns als Entschädigung für die Bereicherung der Degussa am Völkermord an den Juden Europas

Berlin (taz) – Alarm bei der Degussa, der Gold- und Silberscheideanstalt mit weltweiten Verbindungen und Supergewinnen. Ed Fagan, ein auf Schadenersatzforderungen von überlebenden Opfern des Holocaust spezialisierter Anwalt, gab Ende letzter Woche bekannt, daß er eine Sammelklage gegen den Konzern eingereicht habe. Er wirft Degussa vor, auf zweierlei Weise am Holocaust verdient zu haben: durch die Entwicklung des Giftgases Zyklon B, der Mordwaffe in Auschwitz, und durch das Ein- bzw. Umschmelzen von Gold, das jüdischen KZ-Opfern geraubt worden war. Mit der Klage fordert Fagan das gesamte Vermögen des Konzerns.

Zwar hat der bei der Degussa konzentrierte Forschergeist schon zu Anfang des Jahrhunderts den Deutschen das Persil geschenkt, aber eine Weißwasch-Aktion ist in diesem Fall nicht möglich. Denn beide Behauptungen der Sammelklage gründen sich auf historische Fakten. Daß Zyklon B bei einer Degussa-Tochter, der Deutschen Gesellschaft für Schäfdlingsbekämpfung, hergestellt wurde, ist nie bestritten worden. Daß die Degussa im Auftrag der Reichsbank auch Gold von ermordeten KZ- Opfern raffinierte, ist ebenfalls schon lange erhärtet – zuletzt im Historiker-Bericht der Deutschen Bank. In der Aufstellung wird die Degussa dutzendfach als Unternehmen benannt, das Goldbestände der SS umschmolz.

In der Vergangenheit hat der Degussa-Vorstand stets beteuert, nur Dienstleister gewesen zu sein – ohne Kenntnis des Woher des Goldes oder des Wozu des Zyklon B. Glaubwürdig war diese Defensivstrategie nie, aber in den letzten Jahren ist sie vollständig eingestürzt. Beispielsweise hat der Wiener Soziologe und Historiker Hersch Fischler eine Korrespondenz zwischen der Degussa und der Verwaltung des jüdischen Ghettos Lodz („Litzmannstadt“ im annektierten Teil Polens) entdeckt, in der die Degussa mehrfach und dringend darauf drängte, einen Teil des geraubten Goldes der Ghetto-„Insassen“ erwerben zu dürfen. Jüngste historische Untersuchungen, wie der Bericht der Schweizer Bergier-Kommission, zeigen darüber hinaus, daß die Degussa auch von der Reichsbank mit Barren bedacht wurde, die sie vorher so sachkundig umgeschmolzen hatte.

Die Degussa hat 1997 erklärt, eine unabhängiges Kölner Historikerteam werde die Geschichte des Konzerns unter dem Faschismus aufklären, weshalb es unnötig sei, daß weitere Personen wie der Amateur Hersch Fischler ihre Nase in die Firmenakten steckten. Wie das Ergebnis dieser Forschung auch ausfällt, die Degussa hat sich auf Rückzug eingestellt. Am Wochende verlautete aus dem Frankfurter Vorstand, „die Degussa heute ist sich der Einbindung des Unternehmens in das totalitäre nationalsozialistische Wirtschaftssystem bewußt“. Weiter heißt es: „Ungeachtet der in den USA angekündigten Sammelklage wird Degussa auch in Zukunft, wie schon seit vielen Jahren, jüdische Projekte und Einrichtungen in Israel, Deutschland und Osteuropa fördern“. Wieso „ungeachtet“?

Die Sammelklage von Ed Fagan trifft die Degussa an einem empfindlichen Punkt. Der Konzern erreichte in den ersten neun Monaten dieses Jahres einen Rekordumsatz von 12,1 Milliarden Mark, der zum größten Teil im Ausland, darunter in den USA, erwirtschaftet wurde. Dort übertrifft eine der Töchter die deutsche Muttergesellschaft mittlerweile in der Höhe des Stammkapitals. Boykottdrohungen gegen die Degussa, auch wenn sie auf nur auf einige Kommunen bzw. Bundestaaten der USA beschränkt bleiben sollten, sind deshalb keineswegs Schall und Rauch. Aus diesem Grunde beeilte sich auch der Rechtsanwalt Michael Witti, Münchner Kollege von Ed Fagan, zu erklären, daß „der geltend gemachte Anspruch niemals den finanziellen Ruin oder ernsthafte wirtschaftliche Bedrängnis für die Degussa bedeuten darf“. Eigentlich Schade. Christian Semler