Von Bildern und Botschaften, die jeder versteht

■ Die SPD zelebrierte am Samstag den Auftakt ihres Wahlkampfes. In Berlin erlebten 6.000 Besucher, von Kameras bestens in Szene gesetzt, einen Kanzlerkandidaten fürs einfache Volk

Das Ensemble des Berliner Gendarmenmarktes – Schinkels Schauspielhaus, flankiert vom Deutschen und vom Französischen Dom – ist eine der schönsten Platzanlagen Deutschlands. Es ist zugleich eine der größten Täuschungen der Berliner Baugeschichte. Denn der Französische Dom ist keine Kirche, sondern ein funktionsloser Kuppelbau, vom Baumeister Contard allein um des besseren Anscheins willen als identisches Gegenstück zum Deutschen Dom errichtet.

Für Gerhard Schröder gibt es „keinen besseren Ort, um einen Neuanfang zu beginnen“. Dem SPD-Kanzlerkandidat kommt bei diesen Worten sicher nicht das täuschende Bauwerk in den Sinn, in dessen Schatten er gerade die heiße Phase seines Wahlkampfes eröffnet. Er ist „froh, auf diesem Platz zu sprechen, der soviel Geschichte erlebt hat“, soviel Licht und Schatten, weil er dafür sorgen will, „daß die Lichtseiten überwiegen“. Sätze, wie von Helmut Kohl geschraubt, den er ablösen will und dem er deshalb in manchen Dingen wohl ähnlich werden mußte.

Zu ähnlich, wie manche in der Partei bereits befürchten, aber natürlich nicht offen sagen. Die etwa 6.000 Besucher, die sich am Samstag trotz kühlen Wetters auf dem Gendarmenmarkt eingefunden haben, erleben einen Kanzlerkandidaten fürs einfache Volk. In kurzen, prägnanten Sätzen spricht er von seiner Erfahrung, „die da gilt, wo ich herkomme, aus kleinen Verhältnissen“. Davon, „was mich umtreibt, als Sohn einer Kriegerwitwe“. Und fordert, daß Leistung zunächst da beginnen müsse, „wo große Gehälter gezahlt werden“. Das versteht jeder. Und wenn Schröder behauptet, es gebe in Deutschland etwas, was besser sei als anderswo, und dabei auf die Köpfe der Menschen als dem wahren Kapital der Volkswirtschaft verweist, kann sich ein jeder als Standortfaktor begreifen.

Drei Tage zuvor präsentierte sich im Berliner Hotel Maritim der Kandidat für die Wirtschaft. Schröder ließ Jost Stollmann reden über die Zeit des Umbruchs, die Unternehmerzeit sei, und den politischen Weg, den er weder links noch rechts, sondern pragmatisch nennt. Am gleichen Tag dann im Willy-Brandt-Haus auch noch der Kandidat der Künstler und Intellektuellen. Die verstanden sich mehrheitlich als Linke. Schröder hörte zu und widersprach auch nicht, als sein Freund Oskar Negt gegen den seelenlosen Unternehmer-Zeitgeist zu Felde zog.

In all dem keinen Widerspruch erkennen zu lassen, ist die eigentliche Leistung Schröders. Daß es seinen Ausführungen deshalb manchmal an der gebotenen Präzision mangelt, kann er gelassen nehmen. Über fehlende Inhalte maulen eh nur diejenigen, die sie vermissen, weil sie sie gegen den Kandidaten nutzen wollen.

Die Zuhörer auf dem Berliner Gendarmenmarkt schmerzt dieser Mangel nicht. Ihnen reicht schon die zentrale Botschaft: „16 Jahre Kohl sind genug.“ Alles weitere wird sich nach dem 27. September finden. Der größte Teil der Wähler, so sagen die Wahlforscher, hat seine Entscheidung bereits vor einem halben Jahr getroffen. Unentschieden sind nur noch 19 Prozent. In dieser Zahl ist auch die Gruppe der Nichtwähler enthalten, weshalb es voraussichtlich nur noch minimale Verschiebungen zwischen den Parteien geben wird.

Zeitgleich mit dem Wahlkampfauftakt der SPD verbreiten Meinungsforscher die Erkenntnis, es werde „immer unwahrscheinlicher“, daß die CDU die Wahl noch gewinnt. Trotzdem betreibt die SPD an diesem Samstag in Berlin einen Aufwand, als müsse sie der Union hinterherjagen. Der Auftritt ihrer Redner auf der überdachten blauen Bühne wird auf einer Videoleinwand übertragen. Die Reden gehen über in ein Kulturprogramm, Puhdys und Pittiplatsch sorgen fürs Lokalkolorit.

Die Infostände der diversen sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaften wurden familienfreundlich ergänzt durch Rutschen und überdimensionale Luftkissen. Die Einrahmung des Platzes mit den Infoständen und die Anordnung der Kamerabühnen garantieren in den Abendnachrichten Bilder einer dichten Menschenmenge. Diese ist bereits zum großen Teil von Schröder überzeugt.

Die Veranstaltung dient den Bildern – es geht um die kurzen Mitschnitte im Fernsehen. Und es muß der Eindruck bestehen bleiben, daß es auf jede Stimme ankommt, daß das Rennen noch offen ist. Sonst bleiben womöglich am 27. September Wähler zu Hause. Deshalb inszeniert die SPD am Samstag eine logistische Meisterleistung. Dreimal zelebriert sie den Auftakt ihres Wahlkampfes, morgens in Berlin, mittags in München und abends in Bonn. Die Arrangements sind im wesentlichen gleich, nur den Beginn seiner Rede wird Schröder an diesem Tag variieren. Dieter Rulff, Berlin