„Der ist Freier? Kann der das überhaupt?“

■ Kurze Einführung in den Lokaljournalismus / 7. Lektion: Warum die höchste Hürde Ihnen jetzt noch bevor-steht, warum sie aber erst nach erfolgreichem Überspringen dieser Hürde eine Lebensversicherung brauchen

In der heutigen Folge unserer kleinen Schule des Lokaljournalismus geht es richtig ans Eingemachte: Wir sprechen nämlich über Ihre berufliche Zukunft. Und schon taucht auf dem Weg zu Ihrem angestrebten Ziel eine Hürde auf, die kaum überwindlich zu sein scheint. Denn bevor Sie endlich das Luxus- und Lotterleben des Lokaljournalismus genießen dürfen, müssen sie erstmal LokaljournalistIn sprich LokalredakteurIn werden! Und das erreichen Sie nur durch eine jahrlange Plackerei als freiberufliche SchreiberIn, kurz: als Freie oder Freier.

Aus offiziellen Stellungnahmen quillt immerfort nur Wertschätzung für die Freien: Die Qualität dieser Redaktion/Zeitung/Seite ist ohne die Mitarbeit von freien Kollegen undenkbar, heißt es in Jubiläums- und Gedenkschriften. Und Lokalredakteure, die in ihren Lokalredaktionen residieren wie die Fürsten, sagen abends – im Lokal – schon mal: „Ohne Freie geht gar nichts.“ Doch wir müssen Sie warnen: RedakteurInnen lügen wie gedruckt. Und das nicht nur abends. Hinter dem Lob verbirgt sich nichts als reiner Sadismus. Denn ohne Freie hätte der Lokalredakteur niemanden zum Quälen und müßte selbst schreiben.

Die Torturen kennen keine Grenzen. Noch harmlos, aber beliebt ist der Spruch: „Du darfst über alles schreiben, nur nicht über 120 Zeilen.“ Weniger harmlos, aber noch beliebter ist folgendes Spiel der Redakteure: Sie schicken die Freien zu Vor-Ort-Recherchen ins ferne Umland, und wenn die dann nach stundenlanger Arbeit wiederkommen, kann der Text „wegen einer spontan plazierten Anzeige“ leider nicht veröffentlicht werden. Da klopfen sich Redakteure auf die Schenkel und prusten vor lachen. Ausfallhonorar wird nur gezahlt, um die Freien weiter klein zu kochen. Ohnehin häufig niedriger als das normale (niedrige!) Honorar, fängt beim Freien spätestens nach der dritten Ausfallhonorierung der Selbstzweifel zu zehren an: „Alimentiert man mich? Will man mich überhaupt?“ NEIN. Eigentlich will man Sie nicht.

Denn ohnehin traut ein richtiger Lokalredakteur den Freien nichts zu. Selbst wenn Sie exklusiv recherchiert haben, daß Wirtschaftsstaatsrat Frank Haller jetzt Bürgerwehren an der niedersächsich-bremischen Landesgrenze aufstellen will und sogar ein Anti-Umland-Schutzwall geplant ist – glauben wird man Ihnen das nicht. Denn nicht umsonst heißt es: „Der ist Freier? Kann der das überhaupt?“ Natürlich nicht.

Der Redakteur wird Ihnen deshalb sagen: „Das muß ich mal nachrecherchieren.“ Sie werden noch ZeugIn eines Drei-Sekunden-Telefonats, und am nächsten Morgen lesen Sie den superfetten, megageilen, alle-Preise-abräumenden und über Ticker und Tagesthemen verbreiteten Aufmacher: „Schießbefehl an der Bremer Landesgrenze / Bremen baut Schutzwall gegen Niedersachsen / Wirtschaftsstaatsrat Frank Haller zum Generalissimus berufen“. Selbstverständlich steht nicht Ihr Name drunter, sondern der des Redakteurs.

Doch, liebe SeminarteilnehmerInnen, verzagen Sie nicht. Wenn Sie diese Qualen drei Jahre durchgestanden und sich nicht in die Weser gestürzt haben, sind Sie reif. Intrigieren Sie in der Redaktion, er-sinnen Sie ein perfektes Verbrechen, um den Redakteur zu beseitigen, und nehmen Sie seine Stelle ein. Sie werden schnell merken, welchen Spaß es macht, die Freien zu loben.

Sie werden schreiben „ohne die Mitarbeit von freien Kollegen und Kolleginnen ist die Qualität dieser Zeitung/Seite undenkbar“. Und Sie werden eine Lebensversicherung abschließen. ck