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Ein neuer Braintrust für Nordwestdeutschland

■ Das Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst lädt zum freien Gespräch freier Geister

Ein „Haus der Spitzenforschung“ soll es sein und „Hoffnungsträger einer strukturschwachen Region“ - die Erwartungen an das neue Hanse-Wissenschaftskolleg (HWK) in Delmenhorst sind hoch. Das Kolleg, an dem 25 renommierte Forscher aus aller Welt arbeiten werden, ist das Produkt einer Zusammenarbeit der Länder Bremen und Niedersachsen. In Anlehnung an drei Sonderforschungsbereiche der kooperierenden Unis in Oldenburg und Bremen, sind die Arbeitbereiche Meeres- und Klimaforschung mit Schwerpunkt marine Ökologie, Neurokognitionsforschung und Informationswissenschaften sowie Gesellschaftswissenschaften und Sozialpolitik.

Die ersten Fellows trafen Anfang des Jahres in Delmenhorst ein, als das Wohn- und Arbeitsgebäude noch im Rohbau stand. Doch wer, so fragten sich viele an den Unis, forscht da eigentlich woran? Und woher kommt das Geld für eine brandneue wissenschaftliche Einrichtung?

Die Geschichte begann vor knapp zehn Jahren. Damals entstand im Umfeld der Unis Bremen und Oldenburg die Vision eines Kollegs im strukturschwachen Nordwesten Deutschlands: berühmt sollte es werden wie die Gedankenschmiede in Princeton. Unbelastet von der administrativen Ödnis normaler Lehrstühle sollten Spitzenforscher in der Regiom arbeiten und gleich auch noch den beteiligten Universitäten zu Weltruf verhelfen. Pioniergeist war ausreichend vorhanden, ebenso Selbstbewußtsein – schließlich ist Princeton auch nicht viel größer als Delmenhorst.

In Deutschland gibt es bislang nur wenige solcher Kollegs für post-doc-Studien. Das bekannteste unter ihnen ist das glamouröse Berliner Wissenschaftskolleg mit dem Soziologen Wolf Lepenies an der Spitze. Im Dialog mit diesen Institutionen war das Modell Nordwest bald umrissen: Wissenschaftliche Elite und begabter Nachwuchs forschen zwei bis zehn Monate an eigenen Projekten, arbeiten dabei mit den umliegenden wissenschaftlichen Einrichtungen zusammen, halten Seminare, organisieren Kongresse. Dafür winken Stipendien, freies Wohnen und andere Vergünstigungen.

Fehlte nur noch das Geld, schätzungsweise fünf Millionen Mark jährlich, am besten direkt von den Landesregierungen. Und natürlich der Standort. Bremens Senat und der niedersächsische Landtag zeigten sich zunächst nicht begeistert, denn Sparen ist angesagt, Großprojekte im Wissenschaftsbereich sind riskant. Doch die Unis ließen nicht locker. Ulrich Pleuß (Uni Bremen) und Thomas Blanke (Uni Oldenburg) verfaßten ein Memorandum darüber, was das HWK leisten könnte, und entgegen allen Unkenrufen konnte im Oktober 1995 das HWK als Stiftung privaten Rechts gegründet werden: Mit Anspruch auf viereinhalb Millionen Mark jährliche Zuwendungen der Länder und Unabhängigkeit in allen Entscheidungen. Dem Direktor wurde ein Wissenschaftlicher Beirat zur Seite gestellt.

Am 23. Juli dieses Jahres wurde Gründungsdirektor Gerhard Roth feierlich ein überdimensionaler goldener Schlüssel überreicht – der Verhaltensphysiologe von der Bremer Uni wird nun dafür einstehen, daß das Kolleg im Unterschied zu den beiden anderen deutschen Wissenschaftskollegs auch ein naturwissenschaftliches Gepräge bekommt. Erster Gast – Fellow – aber war der Philosoph Thomas Metzinger, zuständig für Neuro- und Kognitionswissenschaften, der im Juni dieses Jahres auch den ersten Kongreß des Kollegs initiierte. Sein Thema: Subjekt und Selbstmodell. Anregend sei der interdisziplinäre Austausch unter freien Geistern, freute sich Metzinger im Gespräch mit der taz, auch wenn er selbst wegen der Bauarbeiten noch im Bremer Uni-Gästehaus wohnen müsse. Doch inzwischen seien weitere 13 Gäste eingetrudelt. Die forschen über so verschiedene Spezialgebiete wie die soziale Ausgrenzung in der Großstadt (Martin Kronauer) oder über die Rolle des Ozeans auf das Klima (Wolfgang Berger), über „mentale Verursachung“ (Jürgen Schröder) oder über Beziehungen in Migrantenfamilien (Bernhard Nauck) – an Forschungsstätten, die oft viele Kilometer voneinander entfernt sind. Aber man treffe sich im Wissenschaftskolleg, so Metzinger, und sei auch verpflichtet, sich gegenseitig vorzutragen und zuzuhören.

Die Kosten des acht Millionen Mark teuren Treffpunktes in Delmenhorst teilen sich die Länder und die Stadt Delmenhorst. Um das Haus am Lehmkuhlenbusch wird zur Zeit noch eifrig an den Außenanlagen gebaggert. Am 1.September sollen die Fellows einziehen.

Das HWK paßt gut in das Projekt „Wissenschaftsregion Nordwest“ - der Bremer Wissenschaftssenatorin Bringfriede Kahrs und ihres niedersächsischen Kollegen Thomas Oppermann. Die enge Zusammenarbeit zwischen den Unis Bremen und Oldenburg soll künftig auf sämtliche Unis der Region ausgedehnt werden, um den Austausch von Professoren zu vereinfachen und parallele Studienangebote zusammenzulegen.

An dieser Kooperation arbeitet auch HWK-Rektor Roth und hofft, international konkurrenzfähig zu werden. Wissenschaftler und Politiker eint die Hoffnung auf die Ansiedlung wissenschaftsorientierter Wirtschaftsunternehmen im Dunstkreis des HWK. Und im Gegensatz zu reinen Forschungskollegs sollen die Delmenhorster Fellows auch Veranstaltungen an den Unis abhalten. Davon profitieren auch die Studis. Eva Tenzer

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