■ Entwicklungspolitik wird in Deutschland noch immer als Förderung einzelner Projekte verstanden. Aber das reicht in einer globalisierten Weltwirtschaft nicht mehr aus: Das BMZ braucht mehr Kompetenzen
: Das Alibi-Ministerium

Wenn von den Ministerposten die Rede ist, die in einer neuen Regierung zu verteilen sind, kommt Entwicklungspolitik nicht vor. Bei keiner der Parteien. Die Politiker sind nicht an dem Ressort interessiert, niemand nimmt es ernst. Woran liegt das?

Immerhin ist die Bundesrepublik eines der wenigen Länder, in denen die Entwicklungspolitik nicht vom Außen- oder Wirtschaftsministerium verantwortet wird, sondern von einem eigenen Ressort mit Kabinettsrang. Aber dieses Ressort hat es, seit Erhard Eppler im Zorn aus Helmut Schmidts Kabinett ausschied, nie wieder zu politischem Rang gebracht. Das ist 25 Jahre her. Seither war das BMZ ein Alibi-Ministerium, mit dem die Bundesregierung sich schmückt, wenn es opportun erscheint, das aber ohne politische Bedeutung blieb.

Das zeigt sich besonders deutlich bei den großen internationalen Konferenzen der UN. Zur Sozialkonferenz nach Kopenhagen reiste der Arbeitsminister, zur Frauenkonferenz nach Kairo der Innenminister, zum Welternährungsgipfel in Rom der Landwirtschaftsminister. Aber bei diesen Konferenzen ging es nie um innenpolitische Probleme der Bundesrepublik, sondern in erster Linie um Probleme der Entwicklungsländer. Das BMZ entsandte Beobachter. Was tut dieses Ministerium?

Es finanziert hier den Bau einer Brücke oder Straße, da die Versorgung mit sauberem Trinkwasser, dort eine Handvoll Schulen, in denen in der Muttersprache unterrichtet wird. Das sind alles wichtige Projekte. Die Entwicklung von unten muß gefördert werden, die Menschen müssen direkt beteiligt werden. Aber damit allein kann die Armut in der Welt nicht bekämpft werden.

Als im Verlauf der letzten zwölf Monate die Wirtschaft der asiatischen Schwellenländer katastrophal zusammenbrach, als Millionen Menschen erneut ins Elend stürzten, die es gerade zu bescheidenem Wohlstand gebracht hatten, da war das Entwicklungsministerium nicht zuständig. Es ist ja nicht einmal zuständig, wenn es um die Verhungernden im Südsudan geht: Dafür ressortiert das Auswärtige Amt. Entwicklungsbezogene Aufgaben sind nicht in einem Ministerium, dem Entwicklungsministerium, konzentriert, sondern auf mehr als 50 Referate in 13 verschiedenen Ministerien verteilt – ein Wirrwarr von Zuständigkeiten. Für das, was in den asiatischen Krisenländern geschah, sind Wirtschafts- und Finanzministerium zuständig, dazu die Bundesbank. Die allerdings sind an Nord-Süd- Fragen und Entwicklungspolitik nicht interessiert, sie haben den Auftrag, die Interessen der Bundesrepublik zu vertreten.

Mit diesem engen Auftrag reisen ihre Vertreter zu den Sitzungen des Weltwährungsfonds, der Weltbank, der Bank für internationalen Zahlungsausgleich, der OECD und der G7. Das Ministerium, das den moralischen Auftrag hätte, die Interessen der Entwicklungsländer zu vertreten, das BMZ, hat dabei keinen Zutritt. Die Entwicklungsländer selbst sind meistens nicht dabei und erfahren hinterher, was beschlossen wurde, um dann festzustellen, daß diese Beschlüsse im Interesse der Industrieländer waren, aber nicht in ihrem.

Auf diesen Konferenzen, in diesen Gremien werden die Rahmenbedingungen festgelegt, die zu Entwicklung führen oder Entwicklung verhindern. Dabei geht es um die Spielregeln für die internationalen Finanzmärkte, um das internationale Währungsgefüge, um die Banken- und Börsenaufsicht; es geht um die Liberalisierung der Märkte für Waren und Dienstleistungen, die es den internationalen Konzernen ermöglicht, kleine nationale Industrien zu Tode zu konkurrenzieren; es geht um den Schutz des geistigen Eigentums, der es den Entwicklungsländern verwehrt, sich moderner Technologien zu bedienen, es aber den Agrarkonzernen erlaubt, die einheimischen Getreidesorten patentieren zu lassen. Hier werden die Schienen gelegt, die den Kurs bestimmen.

Wenn Entwicklungspolitik wirklich Einfluß auf die internationale Entwicklung nehmen will, dann muß sie hier auftreten. Das BMZ, wie es heute in Erscheinung tritt, ist ein Ministerium für Entwicklungsprojekte, nicht für Entwicklung. Als in den letzten Monaten eine Arbeitsgruppe im Ministerium über Reformen nachdachte, kam sie zu der Erkenntnis: daß es neben der Durchführung von Tausenden kleinerer oder größerer Entwicklungsprojekte einen zweiten „zentralen Aufgabenbereich“ für das Ministerium geben müsse, nämlich die „Mitgestaltung globaler Rahmenbedingungen“. Hier müsse das Ministerium Initiativen ergreifen. Was da vorgeschlagen wird, ist die „internationale Strukturpolitik“, die im April 1998 von einer Gruppe unabhängiger Entwicklungsexperten in einem „Memorandum“ gefordert wurde.

In einer globalisierten Wirtschaft muß das BMZ endlich global zu denken beginnen. Es muß auf den Konferenzen, auf denen die weltweiten Spielregeln verhandelt werden, Verantwortung übernehmen. Es muß dafür sorgen, daß diese Spielregeln nicht nur den Interessen der großen internationalen Konzerne dienen, sondern denen der Armen in den Ländern des Südens und Ostens.

Selbst der Chefökonom der Weltbank, Joseph Stiglitz, ist der Meinung, daß es die Liberalisierung der internationalen Geldmärkte war, die den Zusammenbruch der ostasiatischen Volkswirtschaften zur Folge hatte. Eine verantwortliche Entwicklungspolitik muß daran mitwirken, daß diese Geldmärkte wieder an die Zügel genommen werden, daß das Kapital Entwicklung fördert und nicht zerstört.

Als Erhard Eppler Entwicklungsminister war, schlug Helmut Schmidt ihm vor, dem Ministerium auch die Verantwortung für den Außenhandel zu übertragen. Eppler lehnte ab, statt das ihm angebotene Instrument für seine Ziele zu nutzen. So verursachte er die Einflußlosigkeit des Ressorts. Man kann gesellschaftliche Reformprojekte nicht verwirklichen, wenn man nicht auch Einfluß auf die wirtschaftlichen Schlüsselfaktoren hat. Wenn in der nächsten Bundesregierung dem BMZ nicht eine Mitverantwortung für Fragen der internationalen Strukturpolitik übertragen wird, wird es als Entwicklungsministerium überflüssig geworden sein. Aber ich sehe nicht den Politiker, der dafür kämpfen würde. Reinold E. Thiel