Berliner Schweiß nach Rubelkrise

Die auf Osteuropa spezialisierte Berliner Börse leidet unter der russischen Finanzkrise. Panikreaktionen der Kleinanleger blieben jedoch bisher weitgehend aus  ■ Von Kirsten Küppers

So manchem Berliner Kleinanleger trat in den letzten Monaten beim Verfolgen der Börsennachrichten der Angstschweiß auf die Stirn. Die russischen Kurse sackten immer tiefer in den Börsenkeller. Firmen machten Pleite, die Regierung wankte. „Viele Menschen haben eine Menge Geld verloren“, erzählt ein Mitarbeiter der Börse, denn die Berliner Börse ist seit 1993 auf den Handel mit Osteuropa spezialisiert. Doch absolute Schockreaktionen der Anleger sind bisher noch ausgeblieben. „Wir haben viel mehr Panik erwartet“, erzählt eine Kundenberaterin der Berliner Sparkasse, schließlich haben gerade die Kleinanleger – seit dem Börsengang der Telekom in großer Aktieneuphorie – „sehr heftig mit Rußland spekuliert“.

„Es herrscht Unsicherheit, aber viele, die die Gier gepackt hat, wollen sich von ihren Anleihen nicht trennen, obwohl sie auf dem falschen Fuß erwischt wurden“, stellt auch Ralf Vielhaber, Chefredakteur des wirtschaftspolitischen Informationsblattes Fuchsbriefe fest. Seiner Meinung nach sind die Schweißausbrüche noch nicht ausgestanden.

Immerhin sind die russischen Wertpapiere gewaltig in der Krise. Der Kurs der Lukoil Holding beispielsweise, einer der größten russischen Ölfirmen, sank von 173,50 Mark Anfang dieses Jahres auf nur 36,80 Mark am Freitag. Freilich sieht es so aus, als stabilisierten sich die Kurse in den letzten Tagen. Die Aktie von Lukoil stieg auf 39 Mark am Montag mittag. Auch der Kurs der russischen Gazprom konnte sich am Montag gegenüber Freitag um 1,30 Mark verbessern. Schuld an dieser Stabilisierung ist wohl Präsident Boris Jelzins jüngster Schachzug in der Finanzkrise. Nach der Abwertung des Rubel am vergangenen Montag war die Regierung unter Druck geraten. Mit der Entlassung von Ministerpräsident Kirijenko hat Jelzin einen Sündenbock für die Probleme der russischen Wirtschaft gefunden. Jetzt soll dessen Vorgänger Viktor Tschernomyrdin die Karre wieder aus dem Dreck ziehen. „Politik spielt gerade bei politisch instabilen Ländern eine große Rolle“, bestätigt ein Sprecher der Berliner Börse. „Die Kurse steigen jedoch nicht dauerhaft“, schätzt Börsenkenner Vielhaber die Lage ein. Auch die Pressesprecherin der Berliner Börse, Eva Klose, setzt noch nicht auf Entwarnung: „Es sieht im Moment zwar relativ ruhig aus, aber die Situation ist nach wie vor unüberschaubar“, meint sie.

Doch nicht für jeden muß das Abrutschen der Kurse im finanziellen Desaster enden. Spezialisten kaufen abgestürzte russische Aktien und fahren große Gewinne ein, wenn der Kurs wie bei Lukoil innerhalb eines Tages steil klettert. Um solche Schnäppchen zu machen, muß man nicht gleich die Deutsche Bank sein, sondern einfach „ein ausgebuffter Spieler“, wie Vielhaber solche Leute nennt. „Es gibt Privatleute, die beschäftigen sich den ganzen Tag mit nichts anderem“, weiß auch Charles van Musscher, Händler beim Berliner Freihandel. „An der Berliner Börse“, sagt er, „handeln hauptsächlich private Kleinstanleger.“

Angesteckt vom Börsenfieber ist so mancher kleine Telekom- Aktionär aufs Spekulieren gekommen. Noch bis Herbst letzten Jahres, vor dem Einbruch der internationalen Finanzmärkte, boomte gerade der Handel mit Rußland und damit auch die Berliner Börse. „Wir nennen das die Hausfrauenhausse“, sagt die Kundenberaterin der Sparkasse. „Es gab sehr viele Kleinanleger, die eine schnelle Mark gemacht haben, nur weil sie einem Tip vom Nachbarn oder aus einem Wirtschaftsblättchen gefolgt sind“, weiß sie.

Trotz der Kurseinbrüche in diesem Jahr notiert die Berliner Börse noch sehr hohe Umsätze. Darum macht sich der Mitarbeiter der Berliner Börse um die kleinen Anleger und deren Not mit den verflixten russischen Aktien vorerst keine Sorgen. Er argumentiert: „Wer in Rußland investiert, verfügt über ein großes Risikobewußtsein, sonst kann er ja gleich Daimler-Benz-Aktien kaufen. Da sind dann aber auch die Gewinne schmaler.“