■ Schlagloch
: Sozis treffen den Geist Von Friedrich Küppersbusch

„Intellekt ... aus part. präs. von intellegere ‘mit Sinn und Verstand wahrnehmen; erkennen, verstehen‚“ Duden-

Herkunftswörterbuch,

Mannheim 1989

Ebenjene, die diese hohe Meßlatte für sich selbst als gemeistert betrachten, trafen sich dieser Tage in Berlin: „10. Ideentreff“ im Willy-Brandt-Haus auf Einladung von Prof. Klaus Staeck. Nach Beobachtungen der Süddeutschen Zeitung waren dies vor allem „Katja Ebstein und 33 weitere“. Macht zusammen „40 geladene Gäste“, wie der Express aufrundet. Die FAZ differenziert, daß „doppelt soviel Journalisten wie Schriftsteller“ dagewesen seien. Wobei „doppelt soviel Journalisten wie Intellektuelle“ die hübschere Bosheit gewesen wäre. Und die taz schließlich staunte wohlwollend über „das beachtliche Interesse vieler europäischer Künstler“. Soviel zur Wahrnehmung mit Sinn und Verstand.

„Deutsche Arbeiter! Die SPD will Euch Eure Villen im Tessin wegnehmen!“ ist ein Golden Oldie von Klaus Staeck. Leider kein Druckfehler: „... Euch Euren Willen wegnehmen“, leider kein Bekenntnis: „... um selbst drin zu wohnen!“ Sondern wohl das, was man „Agit-Pop“ nannte, weil die diesbezügliche Villa auf dem Foto kreischend blau unterlegt war. Oder „Agit-Prop“, weil das Werk eineindeutig propagandistischen Zielen sich anstellig machte.

Hier ließe sich nun grübeln, was ein pfiffiges Parteiplakat denn nun mit Kunst zu tun habe. Staeck ist nicht nur vom Gegner behutsam darauf hingewiesen worden, daß er eher der ehrenamtliche Art Director der SPD sei als ein neuer John Heartfield. Der hatte in den frühen Dreißigern zum Beispiel Hitler Dukaten fressen lassen: „Frißt Gold und redet Blech!“ Mit solchen frühen Fotomontagen war er Avantgardist, also Künstler. Und wußte, wogegen er kämpfte, und hieß tatsächlich Herzfeld. So wie Staeck seinen Heartfield hat nun aber auch Hombach seinen Staeck gelernt. „Großer Auftakt zur Abschiedstournee“ plakatierte die SPD die Wahlkampfshow Helmut Kohls in der Dortmunder Westfalenhalle. Fotomotiv: Der erkennbare Dicke von hinten.

Da nun also die einstmals subversive zur halbamtlichen Staatskunst durchgemendelt ist – wo ist dann die neue, aktuelle Subversion? Nicht in Berlin. Da entdeckte die FAZ feixend „ideologische Hausmeister“, die FR fühlte sich an „Dixieland-Frühschoppen mit Studienräten“ gemahnt und hoffte immerhin auf Besserung. Für die nämlich stehe Schröders neuer Kulturbeutel Naumann, während das Manifest der versammelten Vergammelten ein „gutgemeintes Unding“ sei. Dem pflichtet die FAZ vollinhaltlich bei, denn „Schröder und Naumann haben die Tür weiter aufgestoßen als 20 Jahre SPD-Kulturinitiativen“. Unerwähnt bleibt, was im einzelnen Schröder und Naumann da vor der Tür Leckeres aufgestoßen haben. Ähnlich begeistert wie von den beiden ist die FAZ nämlich nur noch von einem Besoffenen, der am späten Abend sich des Mikrofons bemächtigt haben soll. Kinder und Betrunkene, so klingt es da an, sagten die Wahrheit. Aber arbeiten die auch bei der FAZ?

Die Süddeutsche erwähnt Jack Langs Mißbehagen an der Berliner Architektur. Alle erwähnen, daß es den Intellektuellen irgendwie um Europa gegangen sei, da müsse aber kräftig Kultur mit rein, das schäumt dann besser und so.

Frank Schirrmacher schreibt in der FAZ, das sei neidvoll zugestanden, den lustigsten Verriß all dessen. Er wähnt das Ereignis als „das machtvollste, was die CDU bisher gegen die SPD unternommen“ habe, und schreibt sich streckenweise auf Titanic-Niveau. Was er vielleicht nicht als Kompliment verstehen würde. Was wiederum ich verstehen würde. Was wiederum zuviel Übereinstimmung wäre. In der Wahrnehmung? Oder im Sinn?

Wörtlich heißt inter-legere „zwischen-lesen“. Was bis zu dieser Stelle 3.265 Zeichen netto bewältigen hieße. In der Annahme, daß wir an dieser Stelle des Textes also spätestens unter uns sind, können wir doch jetzt ein paar offene Worte sagen: Für – den – Arsch. Die ganze Nummer. Die Show in Berlin, meinetwegen, ein paar Leute machen sich einen netten Abend; manche wollen später mal Subventionen von den Sozis, andere haben selbstlose Ziele. Die begreift Schröder gar nicht erst, sondern fordert, „Konkurrenz zwischen Kultur und Sozialem nicht hinzunehmen“. Der Künstler als Bittsteller vor dem SPD-Sozialamt, und Schröder ruft: „Wählt mich, dann kriegen alle ein Almosen.“ Applaus, tolle Stimmung, hamwerwasbewegt.

Ebenso kropflastig die mediale Reaktion, über deren Breite sich Staeck zwar freute: „Kultur ist mehr als die Petersilie auf der kalten Platte der Gesellschaft!“ tönt der Meister. Na klar. Das Treffen der Fruchtzwerge, und mittendrin Klaus, so wertvoll wie ein kleiner Staeck. In den 60ern hatte diese Gesellschaft den Bauch voll und den Schädel leer und wirtschaftswunderte sich schon über gar nichts mehr. Also wollte sie, nach Eigenheim, neuem Auto und Fernreise, mal was ganz Abgefahrenes: Sinn.

Und mit dieser topmodernen Dienstleistung standen die SchreiberLeserDenker bereit. Brandt band sie ein, und schon war die Not groß: Die Geister, die er rief, die wurd' er nun auch mit Berufsverbot, Notstandsgesetzen und dem ganzen Rollback nicht wieder los. Nun sind 30 Jahre vergangen, und heute würden fünf, sechs Millionen beinahe jeden Arbeitsplatz für sinnstiftender halten als das, was die Geisteselite sich da so zusammenkaspert. Allein ihre entschlossene Forderung nach „europäischer Kultur“ habe ich zuletzt so todesmutig und radikal nur von Prinz Charles gehört, und der kostet ja auch ganz schön.

Die Künstler und Intellektuellen, die seit den 60ern „Willy wählen“ gingen und machten, bezogen diese aus dem Überthema des Dritten Reiches und konnten es runter bis zu Brandts Exil-Biographie plausibel finden. Dies Thema beherzigen hieß zwangsläufig, auch zu Aspekten dieser neuen deutschen Republik in Opposition zu gehen. Erst recht nach Brandt, unter Schmidt. Dann Kohl mit der „geistig-moralischen Wende“ – in die Bedeutungslosigkeit nämlich. Er hat sie alle wegignoriert. Und am Ende Kohls bietet die intellektuelle ein Bild wie jede andere Familie: Die mittleren Generationen sehen zu, daß der Kühlschrank voll wird, und zwar „bitte nicht nur Petersilie!“.

Das mit dem Faschismusbezug trägt man jetzt diesen Sommer auch nicht mehr so offen; der Spiegel meldete vorgestern, „Auschwitz als Parteiabzeichen“ sei jetzt praktisch out. Opa Grass macht nicht mehr mit, hat Schnauze und Schnauzer gestrichen voll. Und Enkel Schlingensief muß für alle mit auf die Scheiße hauen. Der hat sich das Thema Arbeitslosigkeit gesetzt und wird deshalb allgemein heiter als komplett durchgeknallt mißverstanden.

Aufbruch! fordert denn auch der Kommentar der SPD-nahen Rundschau aus Frankfurt. Na ja, gerne. Nach dem „Tagebuch einer Schnecke“ nun also „Blinddärme in Aufbruchstimmung“. Wer schreibt's?