Seine Majestät verordnet Demokratie

■ Der König des kleinen Himalayastaats Bhutan schränkt freiwillig seine Macht zugunsten des Parlaments ein. Die Abgeordneten sind entsetzt, doch der Herrscher läßt sich nicht erweichen

Delhi (taz) – Das Königreich Bhutan hat soeben einen Staatsstreich besonderer Art erlebt. Statt sich gegen den König als oberste Autorität zu richten, führte dieser selbst den Coup. Und statt seine Macht zu vergrößern, verfügte König Sigme Jingye Wangchuk eine Einschränkung seiner Befugnisse. Die Reaktion des Parlaments als der zweiten Autorität in dem Staat mit 1,5 Millioen Einwohnern nahm den gleichen paradoxen Verlauf. Statt sich seiner neuen Machtbefugnisse zu freuen, wies es diese zurück. Eine Woche lang baten die Abgeordneten den König, seinen „Kasho“ – das königliche Edikt – zurückzunehmen, mit dem er das Parlament überrascht hatte. Mönche im würdigen Alter und hohe Beamte flehten den 42jährigen Monarchen an, das Land doch nicht zum Halbwaisen zu machen. Doch dieser – mit der Autorität von 26 Amtsjahren im Rücken – blieb hart und zwang das Parlament, sich ihm überzuordnen.

Die Ereignisse verstärken das Bild eines Landes, das in vielem ein lebender Anachronismus ist. Seit Jahrzehnten versucht das zwischen den Bevölkerungsgiganten China und Indien gelegene Bhutan, einen eigenen Weg zu gehen. Es sucht sowohl der lärmigen und kostspieligen Demokratie seines südlichen Nachbarn aus dem Weg zu gehen, als auch ein alleiniges Machtmonopol wie der Kommunistischen Partei in China zu vermeiden. Statt wirtschaftlicher Globalisierung pflegt Bhutan einen vorsichtigen Umgang mit seinen Ressourcen und hält den Tourismus bewußt in Grenzen.

Das jüngste Edikt enthält drei Bestimmungen: Die Regierung wird nicht mehr vom König ernannt, sondern vom Parlament gewählt; die Kompetenzen des Kabinetts wie die Wahl des Regierungschefs werden auch von den Abgeordneten festgelegt; und der König unterwirft sich selbst einem Vertrauensvotum der Abgeordneten, die ihn mit abwählen und durch den Kronprinzen ersetzen können. Diese letzte Bestimmung verursachte am meisten Aufregung. Redner um Redner unter den 150 Parlamentariern, von denen 105 indirekt vom Volk gewählt sind, widersetzten sich der Zumutung einer eingeschränkten Monarchie, nachdem sie mit dem Erbkönigtum seit 1907 so gut gefahren sind. Der Weitblick, mit dem der immer noch jugendliche König sein Land bisher geführt hat, brachte ihm nicht nur allseitige Achtung, sondern seinen Untertanen auch, so eine Zeitung, „die besten Jahre ihres Lebens“.

Erst nach einer Woche heftiger Gemütsausbrüche gaben die Abgeordneten nach. Sie wählten auf Vorschlag des Monarchen sechs Mitglieder des Kabinetts, nachdem die langjährigen Minister der königlichen Aufforderung zum Rücktritt gefolgt waren. Weil das Parlament sich nicht auf eine Prozedur zur Wahl des Regierungschefs einigen konnte, folgte es dem Rat des Landesvaters, das Amt jährlich rotieren zu lassen. Außenminister Lyonpo Jigmi Thinley, bis vor kurzem Bhutans UNO-Vertreter in Genf, wurde zum ersten Ministerpräsidenten gewählt.

Trotz der radikalen Änderung der staatlichen Grundlagen – Bhutan hat keine geschriebene Verfassung –, bleibt König Wangchuk unangefochtener Herrscher. Das zeigt sich etwa darin, daß das Kabinett durch den Königlichen Rat ergänzt wird, dessen vierzehn Mitglieder von Wangchuk eingesetzt werden. Doch der jüngste Kasho ist ein weiterer Schritt zu einer vorsichtigen demokratischen Öffnung, die Wangchuk 1981 und 1991 mit der Einführung von Wahlen für Dorf- und Bezirksräte begonnen hatte.

Das Wort Demokratie wird allerdings nirgends erwähnt – weder vom König noch von den Abgeordneten oder der Presse. Dies ist ebenso symptomatisch wie die heftige Reaktion des Parlaments auf die vom König verordnete Öffnung. Denn Demokratie war das Schlagwort der exilierten nepalstämmigen Bhutaner, die nach 1990 das Land verließen, nachdem sie sich zunehmend von der Staatskultur distanziert hatten, die von der tibetischstämmigen Volksgruppe der Drukpa beherrscht wird. Trotz ihres starken Bevölkerungsanteils sind die Nepalesen – viele von ihnen illegale Einwanderer – in allen Staatsstellen unterrepräsentiert. Auch im neuen Kabinett sind sie nicht vertreten. Das freiwillige oder erzwungene Exil hat das Problem für Bhutan nicht gelöst. Die 93.000 Flüchtlinge in den Lagern in Nepal bilden eine potentielle Opposition, zumal die Regierung in Kathmandu sie unterstützt.

Ein größeres Unruhepotential könnte sich indes im Osten des Landes ansammeln. Dort besteht gegen die dominierenden Drukpas ebenfalls eine gewisse Distanz, welche die Parteien im Exil nun auszubeuten versuchen. Im Oktober des letzten Jahres war es im Bezirk Samdrup zu mehreren Demonstrationen gekommen, bei denen 129 Demonstranten festgenommen wurden. Bhutan beschuldigt die United Democratic Front (UDF) aus sieben Exilparteien, Demonstranten mit Geld angestiftet zu haben. Ihr Führer Rongthong Kinley wurde im April in Delhi verhaftet und kurz darauf gegen Kaution freigelassen. Während er für die einen ein unerschrockener Kämpfer für die Demokratie ist, sieht Bhutan in ihm einen dubiosen Geschäftsmann, der vom Ausland aus gegen die Regierung agitiert. Ein Auslieferungsgesuch ist anhängig, da in Bhutans Hauptstadt Thimphu der Verdacht besteht, daß Brände und Explosionen in mehreren Klöstern auf Sabotageakte der UDF zurückgehen.

Die Unruhe im Osten des Landes ist um so heikler, als nicht weniger als 12 der 20 Distrikte Bhutans von Rebellen der ULFA und der Bodos aus dem benachbarten indischen Assam als Rückzugsgebiet benutzt werden. Dabei kommt es nicht nur zu Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung, mindestens einmal hatte auch Indiens Armee die Grenze überschritten und Dorfbewohner mißhandelt. Die lange Grenze läßt sich nicht kontrollieren, und die kleine königliche Armee hat gegen die schwerbewaffneten Kämpfer keine Chance.

Bhutan kann es sich auch nicht erlauben, seinen Protektor Indien vor den Kopf zu stoßen, zumal Delhi in dieser Region ein großes Zementwerk finanziert. König Wangchuk erklärte jetzt, das Land habe noch nie eine größere Bedrohung erlebt. Die von ihm verordnete vorsichtige Demokratisierung macht daher Sinn. Sie soll die ersten Risse im gesellschaftlichen Gefüge kitten und dem König ermöglichen, sich als Staatsoberhaupt ganz den Sicherheitsrisiken seines kleinen Landes zuzuwenden, die ihm vom Nachbarn Indien, seinem Wohltäter und seiner Nemesis, drohen. Bernard Imhasly