■ Kolumne
: Reemtsma, übernehmen Sie!

So, da haben sie also wieder alle gejammert auf der Popkomm. Die Industrie, weil der Umsatz sinkt, ein schicker, gut zu vermarktender Trend fehlt, sich die „Sleeper“ weiterhin im Tiefschlaf befinden. Die Musik-Connaisseure aus allen Fraktionen, weil's so wenig neue tolle Sachen gibt, weil ein schicker Trend fehlt und alles irgendwie den Bach runterzugehen scheint. Die alten Gefechte – handgemacht vs. digital, Industrie vs. Indie, alt vs. jung – werden nur noch auf niedrigstem Energielevel geführt, alles schon mal dagewesen. Kulturpessimismus, Endzeitstimmung, Untergang, aaaaaaahhhh!

Keine Angst, das wird alles noch schlimmer, auch wenn wir die Jahrtausendwende einmal hinter uns haben. Denn die Manager aus der Plattenindustrie werden beim Golfen weiterhin von ihren ehemaligen BWL-Studienkollegen ausgelacht, weil sie noch immer kein richtiges neumodernes Marketing betreiben. Dabei geben sie sich soviel Mühe und motivieren ihresgleichen zu weiteren Marketing-Glanzleistungen, indem sie dafür schicke Preise ausloben. Aber wenn sie dann meinen, mit den TV-beworbenen Hit-Compilations den Stein der Weisen gefunden zu haben, zeigt sich schnell, daß auch das wieder nicht so richtig funktioniert – weil mittlerweile davon Dutzende pro Monat herausgebracht werden und den Markt verstopfen. Um weiterhin die Umsatzvorgaben zu erreichen, muß jedes Label nun noch mehr Compilations veröffentlichen. Shit happens. Hahaha.

Nachwuchsmusiker haben's noch nie leicht gehabt, aber jetzt haben sie eigentlich gar keine Chance mehr. Die Plattenindustrie muß schließlich ihr ganzes Geld in Compilations stecken. Um die zu füllen, reichen One-Hit-Wonder, die man beim erfahrenen, angejahrten Hit-Produzenten um die Ecke im Dutzend einkauft. Die Nachwuchsmusiker, die es dann doch schaffen, einen Vertrag zu kriegen, sind fast immer ziemlich beknackt, weil sie ja von Leuten ausgesucht werden, die nur Marketing im Kopf haben und denen von frühauf eingebleut wird, daß einen persönlichen Musikgeschmack zu haben störender Ballast bei der Karriere ist. Sowas wie der längerfristige Aufbau eines Acts paßt kaum noch in die Finanzpläne, zumal die verantwortlichen Produktmanager mit rasender Geschwindigkeit rotieren. Wer will sich schon gerne an den Altlasten des Vorgängers abarbeiten?

Das einzige, was jetzt schnell (also vor dem Zusammenbruch des Kapitalismus) helfen könnte, wäre eine Art „Stiftung unkommerzielle Musik“, die als Plattenfirma, aber auch als Vermitt-lungsagentur fungiert. Dort könnte man sich mit allen Arten toller Musik bewerben, und über die Verwirklichung eines musikalischen Projekts würde nur nach künstlerischen Gesichtspunkten entschieden. Die beteiligten Musiker würden unabhängig von den verkauften Stückzahlen anständig bezahlt und müßten sich nicht zum Überleben in nervenaufreibende Zweitkarrieren retten. Zudem könnten scheinbar unfinanzierbare Projekte (mit großem Orcheste, mit Musikern aus Mali) das Licht des Tages sehen. Was würden für großartige Platten gemacht werden können! Reemtsma, übernehmen Sie!

Detlef Diederichsen