Koordinaten von Männlichkeit

■ Fruchtsaft und Legende: Die britischen DV8 haben das „Physical Theatre“ erfunden. Beim Sommertheater zeigen sie die Pub-Persiflage „Enter Achilles“

DV8 ist ein englischer Fruchtsaft – und eine Legende. DV8 ist eine Gruppe, die in Großbritannien ein eigenes Theatergenre geprägt hat, dessen Übersetzung immer schwerfällt: DV8 macht „Physical Theatre“. Diese Betonung der Körperlichkeit von Theater ist etwas, dem in England noch eine andere Bedeutung zukommt als in Kontinental-Europa. Im Vergleich zu einem großen Teil des traditionell sehr textlastigen britischen Theaters ist die Fixierung des deutschen Theaters auf Texte noch harmlos. Entsprechend groß ist der Bereich dessen, was in England unter „Physical Theatre“ fällt. Dazu gehören auch Gruppen wie ThéÛtre de la Complicité oder der kanadische Medienzauberer Robert Lepage. So ist die Definition schwierig.

Lloyd Newson stellt DV8s „Physical Theatre“ bewußt in Gegensatz zu Contemporary Dance. Die Stücke seiner Company haben viele schauspielerische Elemente und unterscheiden sich von zeitgenössischem englischem Tanz vor allem dadurch, daß sie sich nicht abstrakter Formsprache bedienen, sondern in der Bedeutung ihrer Bewegungen sehr konkret sind. Newson: „Unser Tanztheater ist immer Theater über etwas.“ Schon mehrmals waren es Arbeiten über Männer, meistens schwule Männer. So auch das vorletzte Stck MSM, das aus Interviews entwickelt wurde, auf dem Männerklo spielte und sich um anonymen Sex ebendort drehte.

DV8 war noch nie in Hamburg, doch da einige Tänzer, die sich von der Gruppe getrennt haben, wie Nigel Charnock, solo oder mit der Gruppe Volcano auf Kampnagel gastierten, ist diese Art kraftvollen und körperlichen Theaters hier nicht ganz unbekannt.

Enter Achilles, das erfolgreichste Stück der Gruppe, beschäftigt sich mit Heteros im Pub. Newson sucht hier nach Konstanten des „Mannseins“, nach den Koordinaten von Männlichkeit. Er tut das mit einer Schonungslosigkeit und Härte, die der Gruppe neben Preisen und Gastspielen auf der ganzen Welt auch Zensur in Amerika eingebracht hat.

DV8 agiert auch in diesem Stück akrobatisch und energiegeladen bis an die Grenze zur Gewalttätigkeit, aber DV8 ist britisch und deswegen kaum einen Moment ohne Witz oder Ironie. Die acht Männer im Pub planschen in Bierpfützen, balancieren Pintgläser und verwenden einen Großteil Ihrer Aufmerksamkeit für eine Gummipuppe – sei es, um sie zu mißbrauchen oder auch an ihr Zärtlichkeit zu demonstrieren, die im Umgang mit allen anderen auf der Bühne zu fehlen scheint.

Newson hat die Arbeit an diesem Stück begonnen, nachdem er einen Krankenhausaufenthalt wegen Achillessehnenverletzung hinter sich hatte, wo ihn alle seine Freundinnen besucht haben, aber kaum einer seiner männlichen Freunde. Mit eben jenen hat er sich deshalb auf die Suche nach dem eigenen Männerbild gemacht und dabei einiges gefunden, das sie nicht entdecken wollten.

Matthias von Hartz

Freitag, 28. August u. Samstag, 29. August, 20 Uhr, Kampnagel