Grundsätzlich offene Struktur

Neue und eigensinnige fotografische Ansichten zum weiblichen Körper: Zum ersten Bildband „Part of My Life“ der Schweizer Künstlerin Marianne Müller  ■ Von Brigitte Werneburg

Der Arm ist waagrecht ausgestreckt, und die verdrehte Manschette des rosaroten Hemdärmels fällt lose über das Handgelenk: Diese Fotografie von Marianne Müller erinnert vage an eine Aufnahme des Modefotografen Juergen Teller, auf dem der Ärmel eines rosaroten Helmut-Lang- Hemds offen über einen weißen Gipsarm hängt. Doch es geht der 32jährigen Schweizer Künstlerin nicht um Modefotografie, auch wenn sie deren Präsenz mit ihren Arbeiten ohne weiteres erreicht. Zum Beispiel in einem Foto, das die Klamotten zeigt, die sie beim Ausziehen über einen Hocker geworfen hat und unter denen ihre Jeans durchaus werbewirksam hervorzustechen scheint. Aber Marianne Müller hat andere Bilder im Sinn, wenngleich gerade sie weiß: Da, wo die Kamera sie aufsucht, wird die Welt bedeutsam. Gleichgültig, wie bestürzend, wie trivial das Motiv sein mag.

Wenn Kleider in Müllers Fotografien eine so wichtige Rolle spielen, dann nicht als Medium einer modischen oder sozialen Selbstaussage. Es geht um den Stoff, der den Körper sichtbar macht – indem er ihn verdeckt, freilich eben nicht restlos. Der Arm, der in einem luftigen Sommerkleid gehoben wird, gibt den Blick auf ein paar Achselhaare und einen Leberfleck frei. Und unter dem Trapez eines kurzen Rocks, der – angefangen beim Gürtel mit der Schnalle bis hin zum Saum – aus einem durchbrochenen weißen Stoff besteht, scheint gegenläufig ein schwarzes, umgedrehtes Trapez durch. Ob das Schamhaar oder ein dunkler Slip durchschimmert, weiß man nicht recht zu sagen.

Nicht, daß sich Marianne Müller scheute, explizit zu werden. Auf einem anderen Farbfoto läßt ihr angehobenes rechtes Bein die Satin- Knicker so auseinanderklaffen, daß eine rasierte Schamlippe sichtbar wird. Sie fotografiert sich nackt, an die weiße Wand gelehnt oder in der Badewanne. Dort nimmt sie ihre schlanken Beine ebenso auf wie ihre weit gespreizte Scham, über die das Licht auf dem leicht bewegten Wasser in konzentrischen Kreisen hinwegfunkelt.

Nie allerdings, und das fällt ins Gewicht, fotografiert sich Marianne Müller im Spiegel. Damit verlöre sich die Beiläufigkeit, die ihre Bilder und Inszenierungen auszeichnet und dem Titel ihres Bildbandes „A Part of My Life“ recht gibt. Der eigene Körper ist Teil ihres Lebens, ein bedeutender zweifellos. Und doch ist ihre Haltung ihm gegenüber nicht anders als die der Künstlerin hinsichtlich anderer, naheliegender Motive zeigt: „Ich fotografiere mich selbst, das Kleid, das in der Badewanne zum Waschen liegt, den Himmel, die Blumen, die Bushaltestelle auf dem Heimweg, Kühe, Berge.“ Müllers erster Bildband ist also das Ergebnis des wiederholten Aussortierens aus Hunderten von Fotos, die so in den vergangenen fünf Jahren entstanden. Er ist eine mögliche Anordnung, eine mögliche Serie, die selbstverständlich auch anders aussehen könnte. Vielleicht nicht viel anders, aber die Irritation, die die beiden Fotos in die Abfolge hineintragen, auf denen eine zweite Person erkennbar ist, verweist auf diese prinzipiell offene Struktur. Die andere Person, offenkundig ein junger Mann, fällt beide Male erst beim zweiten Hinsehen auf. Einmal entdeckt man seine flache Männerbrust im Badewasser, das andere Mal möchte man sein schmales, dunkel behaartes Bein für den Schatten ihres makellos weißen Oberschenkels halten. Selten ist der Mann im Bild charmanter an den Rand komplimentiert worden.

Die Kleinbildkamera auf dem Stativ und der Selbstauslöser sind Marianne Müllers Werkzeug, mit dem sie genau benennt, worum es in ihren Bildern geht: „Sie untersuchen, was es heißt, eine Frau am Ende dieses Jahrhunderts zu sein, die Bilder macht; was es heißt, mit diesen Bildern Teil einer alten und gleichzeitig sehr jungen Tradition zu werden.“ Die alte Tradition ist die des Künstlerselbstporträts; die noch junge Tradition die des weiblichen Selbstbildnisses, das immer noch im Verdacht des Experiments steht. Marianne Müller bestätigt diesen Verdacht in aufregend aktueller Weise.

Marianne Müller: „A Part of My Life“. Scalo Verlag, Zürich 1998, 122 Seiten, 27 Schwarzweiß- und 70 Farbaufnahmen, 68 Mark