Allianz will Opfer des Holocaust entschädigen

■ 53 Jahre nach Kriegsende sollen offene Ansprüche jüdischer Versicherter von einer Kommission geprüft werden. Michel Friedman: „Schritt in die richtige Richtung“

Berlin (taz) – Nach mehr als einem halben Jahrhundert scheint die Versicherungswirtschaft jetzt bereit zu sein, Holocaust-Opfer zu entschädigen. Früheren Kunden und ihren Angehörigen sollen bereits im Oktober Entschädigungen gezahlt werden, soweit noch offene Ansprüche aus alten Versicherungspolicen bestehen, die vor dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossen wurden. Darauf einigten sich am Dienstag abend in New York vier Versicherungsunternehmen, darunter die deutsche Allianz, die US-Versicherungsaufsicht sowie jüdische Organisationen. Unterzeichner sind auch die Schweizer Winterthur, Basler Leben sowie die französische Axa. Schon vor zwei Wochen hatte die Zürich-Versicherung unterschrieben.

Ein Allianz-Sprecher wertete die Ankündigung gestern gegenüber der taz „als einen Durchbruch“ bei der Entschädigung von Naziopfern. Kritisch äußerte sich der Anwalt Michael Witti, der die Ansprüche von Holocaust-Opfern vertritt. Die Einigung sei eine unkonkrete Absichtserklärung. „Unsere Sammelklage wird mit aller Kraft weitergeführt“, kündigte der Münchner Jurist an. Moderater äußerte sich Michel Friedman vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Er begrüßte die New Yorker Vereinbarung als „einen Schritt in die richtige Richtung“.

Jahrzehntelang hatten die deutschen Versicherungen gemauert. Offene individuelle Ansprüche beständen nicht, hieß es. Den Hintergrund der jetzigen Vereinbarung bildet die Klage von Nachkommen von Naziopfern, die im März 1997 vor einem New Yorker Gericht Versicherungsunternehmen aus Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz und Frankreich verklagten. Der Anwalt der Kläger verlangt von jeder der 16 Gesellschaften eine Milliarde US-Dollar.

Unter den US-Beklagten ist auch Europas Versicherung Nummer eins, die Allianz. Schon im Mai vergangenen Jahres hatte der Vorstand seine Position festgelegt: Das Naziregime habe sich jüdisches Vermögen – einschließlich der Lebensversicherungspolicen – einverleibt, deshalb habe die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin entsprechende Entschädigungszahlungen geleistet. Dennoch versprach Allianz-Boß Schulte-Noelle, jeden Einzelfall nochmals prüfen zu lassen.

Nun soll im September eine Kommission aus Vertretern der amerikanischen Versicherungsaufsicht, jüdischen Organisationen und den betroffenen Konzernen gegründet werden. Offene Altverträge sollten ausgezahlt werden, wenn im Einzelfall ein Anspruch bestehe, erklärte ein Allianz-Sprecher gegenüber der taz. Die Kommission stelle das Verfahren auf eine „glaubwürdigere Grundlage“. Darum beteilige man sich auch nicht an Spekulationen über Geldsummen. Eine bereits im vergangenen Jahr von der Allianz eingerichtete Hotline habe bislang zwar etwa 1.200 Anfragen ergeben, aber die meisten hätten keine Basis. Lediglich 18 Fälle konnten daher bislang abschließend geregelt werden. Hermannus Pfeiffer

Debatte Seite 12