Interkulturelle Gewalt

■ Matti Geschonneck versucht mit „Reise in die Nacht“ die retrospektive Aufarbeitung eines wahren Falles (20.45 Uhr, Arte)

1989 hatte der Fall die Gemüter erhitzt und kontroverse Debatten genährt: In Zypern waren zwei Camperinnen brutal überfallen, dann aber zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden, weil einer ihrer Peiniger dabei zu Tode gekommen war. Aus der zeitlichen Distanz eines knappen Jahrzehnts hat sich jetzt der an der russischen Filmtradition geschulte Regisseur Matti Geschonneck (46) von den damaligen Ereignissen zu einer filmischen Aufarbeitung des spektakulären und nach wie vor aktuellen Themas inspirieren lassen.

Geschonneck hat sich nicht nur durch seinen preisgekrönten Film „Angst hat eine kalte Hand“ und zuletzt mit dem „Rosenmörder“ bereits mehrfach als sensibler Kritiker von Männergewalt ausgewiesen. In „Reise in die Nacht“ nutzt er die reale (aus dramaturgischen Gründen freilich abgewandelte) Vorlage dazu, in diesem Kontext zusätzlich zu durchleuchten, wie es mit wechselseitigem Verständnis und Respekt beim Zusammentreffen verschiedener Kulturen – etwa der türkischen und der deutschen – bestellt ist, hier bei uns wie dort.

Dabei müssen sich auch aufgeklärte Alternativlinge und RucksacktouristInnen sehr wohl ein, zwei Dinge sagen lassen. Im Film tut das insbesondere Grimme- Preisträgerin Renan Demirkan in der Rolle einer türkischen Anwältin, deren lebenskluges Vorgehen die gequälten Frauen am Ende rettet. Doch auch Geschonnecks filmische Erzählweise und die Bildführung von Kameramann Rudolf Blahacek schaffen es, ganz ohne Worte unaufdringlich-eindringlich Fragezeichen zu setzen. Die gelten freilich erst recht einer Männergesellschaft, die Gewalt gegen Menschen hervorbringt und Frauen gnadenlos ächtet, sobald sie sich nicht ihren Ritualen unterwerfen, die Gewalt gegen Frauen offiziell zwar verurteilt, durch ebenso offizielle Kumpanei aber dennoch legitimiert.

Viele türkische DarstellerInnen, die mit Ausnahme von Emine Sevgi Özdamer (Mutter des Täters Aziz) und Tayfun Bademsoy (aus Deutschland heimgekehrter türkischer Lehrer Ercan) allerdings unverständlicherweise größtenteils namenlos bleiben, führen dies – durchaus stellvertretend für alle Männergesellschaften dieser Welt – eindrucksvoll vor. Beklemmend ist Ulrike Kriener als allein lebende „68er“-Lehrerin, die zwar in Berlin mit Hingabe türkischen Kindern Deutsch beibringt, aber von der türkischen Gesellschaft ziemlich wenig Ahnung hat und ausgerechnet am abgelegensten Strand Zyperns die unaufgeräumte Geschichte mit ihrer 20jährigen Tochter Lili (Julia Brendler) klären will. Ulla Küspert