■ Die Finanzkrise schwächt die Macht der Moskauer Zentralgewalt
: Wer von der russischen Krise profitiert

Die Krise in Rußland hat Verlierer und Gewinner.

An Glaubwürdigkeit hat Präsident Jelzin verloren, der zwei Tage vor der Rubelabwertung im russischen Fernsehen noch erklärte, daß nicht abgewertet wird. Und er sah sich gezwungen, Tschernomyrdin als Premier wieder einzustellen, den er vor fünf Monaten wegen mangelnden Reformeifers entlassen hatte. Kein Wunder, daß derzeit Forderungen nach einem Rücktritt Jelzins immer lauter werden.

Verlierer sind die meisten Russen, die infolge der Inflation eine Abwertung ihrer oft geringen Löhne, Renten und Ersparnisse hinnehmen müssen. Überhaupt scheinen die meisten Russen den Rest an Vertrauen in Demokratie und Marktwirtschaft verloren zu haben. Verlierer sind auch die kleinen und mittleren Banken, die infolge der Kursfreigabe bankrott gehen werden. Selbst große Banken sind gefährdet. Deshalb haben sich die drei Bankriesen Most-Bank, Onexim-Bank und Menatep-Bank, deren Präsidenten teilweise untereinander verfeindet sind, vorsorglich zu einer Holding zusammengeschlossen.

Politischer Gewinner der Krise sind die Regionen. Um einen Ausweg aus der Krise zu finden, wurde eine trilaterale Kommission aus Vertretern der Regierung und der beiden Parlamentskammern gebildet. Das Oberhaus, der Föderationsrat, ist das einzige staatliche Vertretungsorgan der Regionen auf der zentralen Ebene, dessen politisches Gewicht weiter zunehmen wird. Bereits heute genügt es Moskau, wenn die Republiken die politische Linie des Präsidenten prinzipiell unterstützen. Dann können sie machen, was sie wollen. Der einzige Hebel, mit dem das Zentrum auf die Regionen einwirken kann, sind die Finanzen – doch die befinden sich in marodem Zustand.

Politischer Gewinner ist das Unterhaus, die Staatsduma. Bisher war die Regierung ein Technokratenkabinett, das nur dem Präsidenten verantwortlich ist. Die Staatsduma hat nun erwirkt, daß das neue Kabinett eine Art Koalitionsregierung sein wird, der Vertreter der politischen Bewegung „Unser Haus Rußland“, Kommunisten, Mitglieder der Schirinowski- Partei und Abgeordnete der Fraktion „Russische Regionen“ angehören dürften.

Politischer Gewinner ist der neue – alte – Wiktor Tschernomyrdin, den Jelzin kürzlich als seinen besten Nachfolger bezeichnete. Doch Tschernomyrdin ist nicht populär und wird vom Volk – nach Jelzin – für die Krise verantwortlich gemacht. Er dürfte die Präsidentenwahl im Jahr 2000 nicht gewinnen, auch nicht, wenn ihn Staat und Finanzoligarchen unterstützen. Wenn überhaupt, dürfte er nur eine Chance im Rahmen eines Wahlbündnisses mit einem wichtigen Konkurrenten um dieses Amt haben. Aber mit wem?

Gewinner ist Gasprom, wohl die größte Firma Rußlands. Der Gasmonopolist, der aus 39 Firmen besteht, kann bei hoher Inflation noch größere Gewinne einfahren, weil bei der Gewinnung von Gas nur Kosten in Rubel anfallen, beim Verkauf aber Gewinne in Dollar. Gasprom mußte keinen großen Rückgang des Weltmarktpreises hinnehmen wie seine Erdölkollegen – neben der südostasiatischen Finanzkrise einer der beiden äußeren Faktoren für die Zuspitzung der finanziellen Situation in Rußland. Gasprom hat jetzt wieder einen mächtigen Lobbyisten an der Regierungsspitze, denn bis 1992 war Tschernomyrdin Generaldirektor von Gasprom.

Doch Tschernomyrdin wird höchstwahrscheinlich nicht bis zur Präsidentenwahl im Jahr 2000 im Amt bleiben, denn er hat kein Programm für die Lösung der Finanzkrise. Notgedrungen wird er für einige Zeit mit der Inflation leben müssen. Aber dieser Tiger läßt sich auf Dauer sehr schlecht reiten. Tschernomyrdin wird nicht umhinkönnen, zunehmend dirigistische Maßnahmen zu ergreifen, um eine weitere Zuspitzung der Finanzkrise zu verhindern. Das ist um so wichtiger, als 1999 Staatsdumawahlen stattfinden. Angesichts der katastrophalen sozialen Lage besteht dann die Gefahr, daß Kommunisten und Nationalisten in der neuen Staatsduma nicht nur eine Mehrheit – wie jetzt – erhalten, sondern eine überwältigende Mehrheit. Und die Parlamentswahl 1999 ist eine Art Probelauf für die wichtigere Präsidentenwahl im

Jahr 2000. Eberhard Schneider

Oberrat beim Bundesinstitut für Ostwissenschaften