„National befreite Gebiete“

■ „Deutschland den Deutschen?“ Die grünen Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck und Cem Özdemir plädierten mit der Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John (CDU) für ein Einwanderungsgesetz

„Absurd“ findet Frau John, Berlins Ausländerbeauftragte das, was Halim Cami ihr da gerade aus den hinteren Reihen der Galerie Rabus erzählte: Einfach absurd sei es, findet die CDU-Frau – vor allem aber „die reinste Dummheit“ der deutschen Behörden – daß der junge Türke nun Deutschland verlassen müsse, weil er keine Arbeit annehmen darf.

So geschehen am vergangenen Donnerstag abend im Rahmen des Gesprächs „Deutschland den Deutschen?“, zu dem die Grünen-nahe Heinrich Böll-Stiftung Frau John gemeinsam mit den beiden grünen Bundestagsab-geordneten Marieluise Beck und Cem Özdemir aufs Podium geladen hatte.

Von den unüberwindli-chen Hürden, einen Job in Deutschland zu finden, hatte der junge Ingenieur Halim Cami berichtet. Vor vier Jahren habe er hier seinen Studienplatz bekommen und seinen Abschluß gemacht: „Arbeitsangebote bekam ich genug“, so der türkische Mann, der noch immer ein wenig erstaunt erzählt, wie er eigentlich gern noch zwei Jahre hier gearbeitet hätte und aus der deutschen Provinz Angebote fast wie Hilferufe empfing – das Arbeitsamt aber habe nur kurz und knapp reagiert: Sein Studium sei beendet, er möge bitte in die Türkei zurückkehren.

Das tut Halim Cami jetzt – „gern“, sagt er, „gehe ich zurück“ – Barbara John aber sagt: „Absurd!“ und macht auch ihre Gastgeber, die Grünen bei ihr auf dem Podium, für Halim Camis Situation verantwortlich. „Für Fälle, wie den Ihren, empfehle ich ein Einwanderungsgesetz.“ Nicht aus humanitären Gründen, beileibe nicht.

Sondern „weil Sie mit Ihren Kompentenzen, die Sie sich mit Ihrem Studium in Deutschland erworben haben, hier mittelfristig Arbeitsplätze schaffen würden.“ Daß es nicht zuletzt ihre christdemokratische Partei war, die dieses Einwanderungsgesetz verhinderte, will Frau John gar nicht verhehlen – „Ich habe in meiner Partei ungefähr die gleiche Stellung wie in Ihrer Partei ein Wehrbeauftragter hätte“, grinst sie etwas schief zu Marieluise Beck hoch – aber auch mit einem grünen Gesetz, betont sie, hätte Halim Cami wohl seine Schwierigkeiten bekommen, sei es doch ausdrücklich Position von Bündnis 90/Die Grünen, daß gutausgebildete Leute wie der junge Ingenieur lieber als 'Entwicklungshelfer' in die Heimat zurückkehren sollten. Was für ein Blödsinn, findet die Berliner Ausländerbeauftragte, die vor 17 Jahren unter dem damaligen CDU-Bürgermeister Richard von Weizäcker ins Amt kam: Diese Länder hätten „doch inzwischen alle mehr als genug dieser gutausgebildeten Techniker“.

Cem Özdemir, ihr grüner Gesprächspartner am Mittwoch auf dem Podium, zeigte sich offen für die Kritik: Unter diesen Umständen müsse das Grünen-Programm möglicherweise revidiert werden, so der 33jährige Bundespolitiker.

Eine kleine Szene nur: Ein Beispiel für das Interesse der Bremer Grünen an Expertengesprächen – auch noch im Vorwahlkampf – die sie in den nächsten Wochen fortführen wollen. Ein Beispiel zugleich für einwanderungspolitische Argumente aus der Hauptstadt Berlin – und ein seltener Moment des Dissenses zwischen der CDU-Frau und den beiden Grünen auf dem Podium. Einig war man sich hingegen in der Bewertung der Situation von Menschen dunkler Hautfarbe in Deutschlands Osten: „Schulen, Bahnhöfe, ganze Stadtviertel“, so Özdemir – am Vortrag noch in Berlin-Kreuzberg unterwegs – seien in den fünf neuen Bundesländerninzwischen zu „national befreiten Gebieten“ erklärt worden, in denen das „Recht auf körperliche Unversehrtheit“ außer Kraft gesetzt sei. Deutschland den Deutschen sei dort keine Frage mehr, sondern vollendete Tatsache. Dem wollte auch Frau John nicht widersprechen.

Sie unterstrich, daß sich von den Berliner Schulklassen kaum noch eine zur Klassenfahrt ins Umland wagen würde. „Das wird nicht eine Generation, das wird mindestens zwei Generationen dauern, bis sich diese Zustände ändern“, bezweifelte hier Cem Özdemir Barbara Johns „optimistischen“ Zeitpläne. Ein leicht verzweifeltes Lachen bei der Berlinerin provozierte wiederum Marieluise Becks Frage nach den „Therapiemöglichkeiten“.

Ausschließen aber wollte sie die Hoffnung des stellvertretenden Bremer Parlamentspräsidenten der Grünen, Hermann Kuhn, dann doch nicht, daß Einwanderungsgesetze und erleichterte Einbürgerung als „symbolische Gesten“ einen Gesinnungswandel in Deutschland unterstützen könnten.

ritz