Village Voice
: Bolle bleibt

■ Neues aus dem Atari-Teenage-Riot-Kosmos: EC8OR und ihr drittes Werk und Carl Crack mit seinem ersten Soloalbum

Alec Empire, weltweit gefürchteter Soundterrorist mit Atari Teenage Riot und selbsternannter Chef der Apokalyptischen Reiter, ging den Leuten in seiner Heimatstadt Berlin zuletzt so auf die Nerven, daß er lieber nach London verzog. Beziehungsweise zumindest sein Label Digital Hardcore Recordings (DHR) dort ansiedelte, offiziell natürlich aus Gründen des Internationalismus. Zu den ersten Veröffentlichungen gehört „World Beaters“ von EC8OR, einem Berliner Duo, das schon dadurch ausreichend qualifiziert war, weil es sich bei einer von DHR organisierten Show kennenlernte.

Prinzipiell hat man sich denn auch nicht allzuweit vom Chef entfernt, löst die letzten überlebenden Songstrukturen konsequent auf, sucht sich die Sounds in den üblichen Müllbergen, die der Industrial so im Angebot hat, und versucht das dann möglichst so massiv übereinanderzutürmen, daß die Schrottpresse arbeitslos wird. Zum Tanzen ist das natürlich gar nichts, und die grundsätzlich hysterische Frauenstimme schafft zusätzliche Ähnlichkeit zu Atari Teenage Riot.

Dieser hektische, alles aus seiner Umwelt aufsaugende, ständig neue Querverbindungen durch alle denkbaren Medien schaffende Ansatz war vor wenigen Jahren, bei den Ataris eben, noch unheimlich aufregend. Inzwischen ist er vor allem anstrengend, weil das Konzept halt nun mal kaum mehr hergibt als Lärm, der beim dritten-, viertenmal eben nicht mehr neu und spannend, sondern nur noch nervtötend ist. EC8OR verstehen es zudem nicht einmal, all die klirrenden und umherschwirrenden, als Granatsplitter gedachten Sounds hin und wieder zu einem griffigen Slogan oder einem kurzen, nachvollziehbaren musikalischen Moment zu bündeln, um den Hörer wieder zurückzuholen und einzubinden. Die Texte in ihrem eher kindlichen Englisch wirken dann nur noch lächerlich: „Take the biggest scissor out of your head and make the biggest cut now make a fuck and cut cut cut.“ Immerhin eine der eigenen Vorgaben haben EC8OR zweifellos erfüllt: Sie sind „so laut wie nur möglich“. Das sei politisch. Wenn das politisch ist, dann sind sie ziemlich politisch.

Nun aber das: Ausgerechnet Carl Crack, ein Drittel der für all das Elend verantwortlichen Atari Teenage Riot, hat sich auf seiner ersten Soloplatte „Black Ark“ von der brachialen Gewalt und der Lautstärke als Allheilmittel verabschiedet. All die einschlägigen Elemente sind zwar weiter vorhanden, seien es die Schnipsel aus dem Radio, die die Musik andocken sollen ans politische Geschehen, oder die modulierenden Geräusche, die entstehen, wenn an den Reglern gespielt wird. Auch Crack findet in den hintersten Ecken seines Samplers ausreichend fiese Geräusche, die er zu Loops schneidet, die allerhöchste Anforderung ans Rhythmusgefühl stellen –- oder keine, je nachdem, wie man das sehen will. Aber im Gegensatz zu EC8OR, Atari oder auch den Soloplatten von Empire überdecken sich die Ideen hier nicht, liegen nicht im ständigen Wettstreit, erschlagen den Hörer nicht mit ihrer aufgetürmten Wucht. Statt dessen wird hier meist ganz entspannt zusammengesetzt, ergänzen sich die Geräusche und lassen sogar Raum zum Hören. Es ist überraschend viel Platz auf dieser Platte, die Leerstellen sind oft das Entscheidende. Ganz so also, wie es guter Dub tun sollte, und nicht umsonst Lee Perry war es, für den sich Crack in letzter Zeit vor allem interessierte und auf dessen legendäre Black-Ark-Studios der Plattentitel zurückgeht.

Nicht daß irgend jemand jetzt auf die Idee kommt, es könne sich hier um Easy Listening handeln, aber manches Stück schleicht doch so vorsichtig daher, daß man fast meinen könnte, hier versuche sich jemand an so einer Art Hardcore-TripHop. Oder Industrial Ambient. In dem Koordinatensystem, in dem sich DHR sonst bewegen, kommt das zwar einer Palastrevolte gleich, aber von jedweder kommerziellen Verwertbarkeit ist man weiterhin Lichtjahre entfernt. Und höchstwahrscheinlich stolz darauf – stolz wie Bolle, da kann man noch so lange in London residieren. Thomas Winkler

EC8OR: „World Beater“

Carl Crack: „Black Ark“ (beide Digital Hardcore Recordings/ Indigo)