Medienzwerge im Hauptstadtfieber

■ Mit Boulevard-Magazinen, aber auch Nachrichtensendungen versuchen die privaten Berliner Fernsehsender, ihren Quotenclaim abzustecken. Dem SFB können sie dennoch nicht das Wasser reichen

Der Fernsehmarkt in der Stadt gleicht einer Seifenoper um Sendeplätze und Einschaltquoten. Ein gutes Beispiel ist der Werdegang des ersten privaten Herausforderers der alten Tante SFB: 1993 unter dem Namen IA Brandenburg auf Sendung gegangen, mußte er 1996 als PulsTV Bankrott anmelden. Kirch Junior – seit Jahren hatte er nach Berlin geschielt – schnappte sich die Konkursmasse mitsamt dem Fernsehkanal und bescherte der Hauptstadt einen Ballungsraumsender nach amerikanischem Vorbild.

In Anlehnung an das Brüderchen tv münchen taufte er den jüngsten Sproß der Kirch-Familie auf den Namen TV.B, beschenkte ihn mit den schlechtesten Spielfilmen aus Papa Kirchs Bauchladen und schickte ihn am 1. September 1997 erstmals on air.

Mit Schirm, Charme und Melone kämpft der halbwüchsige Sender seither zur Primetime gegen die Abendschau des öffentlich- rechtlichen Platzhirschen B1: die Serienkulthelden Emma Peel und John Steel aus den 68ern gegen die News der 98er. Die eigentliche Konkurrenzsendung startet allerdings erst fünf Minuten nach dem Ende der Abendschau: „aktuell“. Das sind 15 Nachrichtenminuten, die sowohl die globalen Nachrichten abdecken als auch Berliner Boulevard-Themen. Moderiert hinter einer rot-schwarzen Kommandobrücke, zusammengestellt von einem 25-köpfigen Redaktionsteam und konsumiert von durchschnittlich 73.000 Berlinerinnen und Berlinern (1. Quartal 1998). Der Lokalmatador Abendschau allerdings versammelt mit 330.000 Schaulustigen fast ein Drittel der fernsehenden Bevölkerung vor den Bildschirmen.

Nicht mehr im Bereich des Meßbaren hingegen liegt die Quote des 1994 auf Sendung gegangenen Fernsehen aus Berlin (FAB). Auf dem Kanal 22 toben sich nun mittelständische Film- und Fernsehproduzenten aus. Das System ist einfach: Die einzelnen Gesellschafter sind gleichzeitig auch die Programmzulieferer. Seit Sommer 97 zum Beispiel hält der Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust 13 Prozent der FAB-Anteile. Das Ergebnis ist ein Mix aus zum Teil fünf Jahre alten Spiegel-TV- Sendungen und aus Serien wie „Rauchende Colts“. Und am Mittwoch um 20.15 Uhr läuft auf FAB die Sendung „Ein Tag wie kein anderer“ – wo sonst sieht man schon noch eine zehn Jahre alte Spielshow.

Seit September 97 peppt der FAB-Chef Hans Gerhard Roth, selbst Gesellschafter mit 11,2 Prozent, seinen Sender zusätzlich mit ausrangierten RTL-Beiträgen auf. Im City-Magazin um 21.05 Uhr laufen Beiträge aus dem City-TV, einem Programmpool, aus dem RTL einige Lokalsender beschickt. Im Austausch liefert FAB dafür seit März 98 zwölf eigene Sendungen. Auch bei FAB nehmen Nachrichten einen immer größeren Stellenwert ein. Bereits seit Juli 97 beliefert die Deutsche Fernsehanstalt (dfa) den Berliner Minisender mit Nachrichtenbeiträgen; im Juli 98 stieg dfa dann selbst mit 9,8 Prozent bei FAB ein. Denn die Konkurrenz von TV Berlin ist rege: „Mit 14 Nachrichtensendungen pro Tag liegen wir gleich hinter n-tv,“ verkündet die TV.B-Pressesprecherin Barbara Kallerhoff voller Stolz. Wenn auch das Niveau einzelner Beiträge eher dem mittags ausgestrahlten „Boulevard-Magazin“ entspricht. So drehen sich die Nachrichten dann schon mal um frisch ausgesetzte Hundewelpen, die kurz vor ihrem Tod auf einem Berliner Friedhof gerettet werden konnten.

Doch auch 14 Nachrichtensendungen pro Tag werden nicht ausreichen, um dem SFB das Quoten- Wasser abzugraben. Denn während auf TV.B auch nachts zum größten Teil noch die Nachrichten des Tages laufen, baut die SpätAbendschau bereits die Ereignisse des Abends in ihr Programm ein und ist damit weitaus aktueller. Sie belohnt die Zuschauerinnen und Zuschauer gegen 22.13 Uhr außerdem mit einem Blick auf die Schlagzeilen der frischgedruckten Zeitungen. Andreas Leipelt