Immer voll auf Sendung

■ Die Berliner "Abendschau" wird 40 Jahre alt. Spiegel der Berichterstattung sind ihre Moderatoren. Kalte Krieger, gemütliche Mauerzeitgenossen, schicke Möchtegern-Hauptstädter und ein Skeptiker

Sie kommen jeden Abend kurz vor halb acht wie gute Freunde vorbei. Gut gekleidet, gucken sie herein ins Wohnzimmer, lächeln und reden. Manchmal runzeln sie die Stirn, wenn schlechte Nachrichten zu vermelden sind. Oder sie blicken augenzwinkernd, wenn die Gesprächspartner flunkern und an der Sache vorbeireden. Die Hauptstädter lieben sie, selbst wenn sie manchmal die Nase rümpfen über die merkwürdige Mischung aus Provinzialität und Metropole. Rund 300.000 Zuschauer täglich, das sind rund 24 Prozent im Marktsegment, lassen allabendlich die Sprecher der Berliner „Abendschau“ herein: Friedrich Moll und Cathrin Böhme im wöchentlichen Wechsel als Moderatoren und Kerstin Tomiak, Axel Walter sowie Michael Flotho als Nachrichtenredakteure.

An ihnen kommt niemand vorbei, geht es um die News in der Hauptstadt. Sogar der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen outete sich zum 40jährigen Bestehen der „Abendschau“ als Fan der täglichen Lokalnachrichten: „Die Abendschau ist für mich die wichtigste Informationsquelle. Wann immer es zeitlich möglich ist, schalte ich die Sendung ein.“ Nichts komme über den Äther, was „sachlicher, lebendiger und umfassender“ aus Berlin und der Welt berichte. B1-Lokalpatriotismus ist auch Klaus Böger, SPD- Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, anzumerken, der die Sendung wegen ihres „kritischen Journalismus“ liebt. Sie gehöre „zu Berlin wie das Brandenburger Tor und die Bulette“.

In der Tat lebt die „Abendschau“ von ihren Machern. Sie sind das Salz in der Suppe der Sendung. Sie sind die eigentlichen Stars, die die guten und schlechten Nachrichten ins Haus tragen. An ihnen in persona, „in ihren Gesichtern“, sagt der SPD-Sprecher Thomas Strätling, läßt sich nicht nur die „Prägung der Sendung“ ablesen, sondern auch der Rhythmus, in dem die Stadt tickt.

Die Köpfe der Identifikation und Identität sind Legion. Harald Karas, Jahrgang 1928, moderierte am 1. September 1958 die erste der bis heute über 12.300 Sendungen. Auf dem Tempelhofer Flugfeld wetterte er gegen die geplanten Preiserhöhungen im Luftverkehr Berlin–Bundesgebiet; ganz Inselbewohner im Zeitalter des Kalten Krieges. „Damals war alles anders als heute. Die Sendetechniken und Themen unterschieden sich gewaltig. Wir drehten auf Filmmaterial, das kopiert werden mußte. Bis 16 Uhr mußte alles im Kasten sein.“ Was Karas bei den Zuschauern so beliebt machte, waren nicht nur seine Reportagen vor Ort und der scharfe Ton seiner Kommentare und Moderationen, sondern auch das Prinzip der Sendung: möglichst live und direkt zu sein. Originale wie den freitäglichen „Schruppke“, hinter dem sich der Kabarettist Wolfgang Gruner verbarg, oder Rathausreporter Wolfgang Hanel, den sie den „Dicken von der Abendschau“ nannten, hatte die Sendung immer, wenn auch zu wenige. Daß ein Hans- Werner Kock mit Lebensgefährtin Jana als Sprecherin sich bis in den achtziger Jahren mit seinem Standardspruch „Macht's gut, Nachbarn“ halten konnte, versteht nur, wer auch auf Currywurst steht. Der füllige Kock linste unaufgeregt ins Wohnzimmer, die wilde Zeit der Hausbesetzer fiel von ihm ab, als ob es sie nicht gäbe. Berlin war gemütlich, ummauert und trotzdem anders. Ein Bierchen, ein Schwätzchen, „ein Mann für die ganz normalen Leute“, der den „Menschen aufs Maul schaute“, so sah er sich selbst. Als er einmal die Polizei nach Übergriffen auf Demonstranten „aufs Korn nahm, entschuldigte er sich bei den Beamten prompt. Und in der Nacht des Mauerfalls hockte er verschwitzt vor der Kamera, aber überglücklich. „Was für ein Tag!“ Das genügte, traf ins Mark, und dafür nahmen die Zuschauer Anteil an ihrem „TV-Liebling“, als „sein Herz mit Batterie“ schlug.

Mit Frischlingen taten sich die Zuschauer schwer. Gerd Ellinghaus, CDU-Mitglied und ab 1984 Chef der SFB-„Abendschau“, hatte die verschlafene Sendung zwar zum erfolgreichsten Regionalprogramm aufgemotzt und die Frontstadt „unterhaltsam“ und voll im Trend des Neuen präsentiert. Aber als er 1989 quasi über Nacht kündigte, um schnelles Geld in der Baubranche zu machen, fielen die Fans ebenso schnell von ihm ab. Ellinghaus gilt seither als Symbol des gescheiterten Immobilienbooms. Seine verzweigten Bau-GmbHs machten Pleite, Kompagnon Walter Momper kostete das den Landesvorsitz. Heute soll Ellinghaus vor den Kadi, weil er den Konkurs der Firma nach Ansicht der Staatsanwaltschaft viel zu spät angemeldet hatte – Ellinghaus voll im Trend.

Die neuen Gesichter spiegelten die Stadt wider, wie sie sein sollte – aber nicht ist. Ulrike von Möllendorff etwa verkörperte das Mondäne, das Schicke und Hauptstädtische. Abgenommen haben ihr es die wenigsten, aber schön war's trotzdem für die „Traumschiff- Fraktion“. Und Friedrich Moll? Der sucht die Stadt samt ihren Ecken und Kanten abzubilden und eckt mit leicht kritischer Moderation schon an. Das hat ihn beinahe den Job gekostet. Auch da liegt die „Abendschau“ voll im Trend. Rolf Lautenschläger