Ein Ort harrt seiner strahlenden Zukunft

Das Ostseebad Heiligendamm mit seinen klassizistischen Bauten wird immer einsamer und bröckelt vor sich hin. Dabei will der Investor, die Aachener Fondsgesellschaft Fundus, „die Perle der Ostsee“ zum Luxusressort mit Golfplatz und Spielkasino aufpäppeln  ■ Von Annette Jensen

Im Haus „Rosa Luxemburg“ hängen noch Gardinen. Doch das Licht geht abends schon lange nicht mehr an. Früher, zu DDR- Zeiten, erholten sich hier verdiente Kämpfer gegen den Nationalsozialismus. Sie waren in Heiligendamm, dem ältesten Kurort Deutschlands, besonders gern gesehene Gäste. Jedes Jahr konnten sie an die Ostsee fahren, um Linderung für ihre Haut- oder Herzkrankheiten zu suchen, während Durchschnittskranke nur im Zweijahresrhythmus willkommen waren. Doch seit vorletztem Sommer stehen die meisten der über 20 klassizistischen Villen leer. Und wenn es Nacht wird in Heiligendamm, dann leuchten fast nur noch die Laternen auf der Mole – und die Kronleuchter im Residenzhotel. Doch darunter sitzen meist nur wenige Leute. In einem Geisterdorf will niemand Urlaub machen. Die Drogerie ist weg, der Konsum ist weg, und auch der Zeitungs- und Andenkenladen hat zugemacht. „Für jedes Pfund Butter muß ich jetzt sechs Kilometer fahren“, sagt Klaus-Peter Behrens, der seit zehn Jahren in einem weißen Prachtbau mit Arkadengang lebt, dessen weiße Farbe inzwischen abblättert. Von den 40 Familien in seiner Nachbarschaft sind gerade noch vier übrig. „Fundus hat hier schon fast alle rausgeschmissen.“

Die Aachener Fondsgesellschaft, die auch das Berliner Adlon-Hotel gebaut hat, will hier ein Fünfsternehotel, Luxusappartements und einen Golfplatz errichten. Für 16 bis 18 Millionen Mark soll Fundus-Chef Anno August Jagdfeld die Perle der Ostsee von Bund und Land vor zwei Jahren übernommen haben. Doch passiert ist seither nichts – außer daß Fundus Kündigungen verschickt hat und vorm letzten Winter die Heizungen aus vielen Häusern rausreißen ließ.

Bürgermeister Hartmut Polzin (CDU), erst seit diesem März im Amt, druckst herum. Es ist ihm sichtlich unangenehm, über die ganze Angelegenheit zu sprechen. Aus dem Kopf zitiert er die bürokratischen Formulierungen des Vertrags, der besagt, daß Fundus erst sanieren muß, wenn sämtliche Planungsunterlagen vorliegen. Dann hat der Investor die Pflicht, innerhalb von 30 Monaten die mehrere hundert Millionen Mark teure Investition durchzuführen. Noch seien nicht sämtliche Unterlagen da, sagt Polzin. „In heutiger Zeit dürfen ja so viele mitreden“, erläutert er und fügt hastig hinzu: „Und das ist ja auch gut so.“ Allein die Sanierung und Einrichtung des Luxushotels ist mit 270 Millionen Mark veranschlagt. Dafür sucht Jagdfeld immer noch Investoren, die nicht so sehr auf eine hohe Rendite scharf sind, sondern einen Teil ihres Geldes in der Nobelherberge abwohnen wollen. Wieviel Geld schon im Sammeltopf drin ist, ist unklar. Doch nicht nur in Heiligendamm sind viele überzeugt, daß das Projekt keine Zukunft hat. Wie viele Leute sind schon bereit, 500 Mark für eine kalte Nacht an der Ostsee zu bezahlen?

Auch die Kranken mußten der Hoffnung auf die Luxusgäste weichen. Eine neue Klinik wurde nach langen Auseinandersetzungen mit Naturschützern hinterm Buchenwald ein paar hundert Meter ins Landesinnere gebaut. „Wir haben Angst, daß wir mit den Patienten vielleicht demnächst nicht einmal mehr auf die Promenade dürfen“, sagt eine Physiotherapeutin. Noch hopsen regelmäßig Gruppen überwiegend älterer Leute vor dem 200 Jahre alten Ensemble auf und ab und machen am Strand „Hampelmann“ und „Mühlrad“.

Doch die Klinik für Herz-, Haut- und Allergiekranke kämpft inzwischen darum, die Betten voll zu kriegen, und vermietet ihre modernen Einbettzimmer auch gerne an normale Badegäste. Denn nach der Gesundheitsreform von Minister Seehofer dürfen die Patienten nur noch alle vier Jahre auf Krankenschein kuren, und die Kurzeiten wurden von vier auf drei Wochen verkürzt.

„Das ist klimatherapeutisch totaler Schwachsinn“, urteilt Chefarzt Heiko Schuh. Schließlich beginne eine schwere Neurodermitis erst nach 14 Tagen abzuheilen. An der Wirksamkeit seiner Therapie will er keinen Zweifel aufkommen lassen – schließlich haben in den vergangenen Wochen sieben neue Kliniken an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns aufgemacht; der Kampf um Patienten und Kurgäste ist hart. In Heiligendamm vertraut man noch auf den guten Ruf. Bei der Konkurrenz schickt man dagegen inzwischen Marketingleute los, um Reha-Patienten aus den Krankenhäusern anderer Bundesländer anzulocken.

Stolz öffnet Schuh einen achteckigen, senkrecht stehenden Kasten, der von innen wie ein Spiegelkabinett aussieht. Hier stehen die Patienten bis zu 30 Minuten drin und werden von allen Seiten bestrahlt: „Der Mercedes der Strahlentherapie“, sagt der Arzt und grinst. Zusammen mit regelmäßigen Bädern in angewärmtem Meerwasser und dem milden Reizklima sei der Heilerfolg fast garantiert. Allenfalls fünf Prozent seiner Patienten seien Therapieversager, preist Schuh sein Konzept an.

Hinter blauen Plastikvorhängen im Keller ruhen Menschen unter weißen Laken – im Rücken eine heiße Fangopackung. Im lauwarmen Swimmingpool ziehen ein paar Leute ihre Runden, und weiter hinten warten andere auf eine Untersuchung mit modernsten Geräten. Insbesondere zu Pfingsten und Ostern mischen sich unter die Kassenpatienten immer mehr zahlende Gäste, die ein Schnupperangebot der Klinik wahrnehmen, sich mal was Gutes tun wollen oder aus einem anderen Grund eine Konsultation bei einem Badearzt wünschen. „Wenn Fundus erst gebaut hat, werden wohl eher Patienten nach Heiligendamm kommen, die finanziell etwas besattelter sind“, glaubt Marianne Düsterhöft vom Bäderverband Mecklenburg-Vorpommern. Schließlich gehörten zu einer Kur auch kleine Einkäufe und der Besuch eines Cafes – und die Läden und Restaurants würden sich wohl auf das Publikum der Luxusherberge einstellen. Marianne Düsterhöfts Stimme verrät, daß sie diese Entwicklung bedauert. Doch dann sagt sie forsch: „An dem Vertrag ist nichts mehr zu ändern. Nun kommt es darauf an, daß es endlich losgeht.“ Doch wann das Licht in Heiligendamm wieder angeht, steht in den Sternen. Die allerdings sind dort zur Zeit besonders gut zu sehen.