Ruck'n'Roll!

Das Beste aus drei Jahrzehnten: Die subkulturell orientierten Alt-68er feiern sich selbst und sind „Ready to Ruck“. Wer weniger gut drauf ist, wird fürsorglich massiert  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Klaus liest begeistert die tageszeitung, die berichtet, daß Bommi Baumann gestern mit Eiern beworfen wurde, weil Jutta ihn nicht mag“, schrieb eine Freundin neulich als charmant kichernden Beispielsatz für irgend was in einer publizistischen Hausarbeit. Bommi Baumann steht wie ein Elder statesman in seinem nunmehr drogenfreien Leben oder genauer: vor dem Zelt des Berliner Tempodroms, wo der eher subkulturell orientierte Teil der 68er-Helden eine Pressekonferenz gibt. Er sagt: „Ich muß noch ein Knastpaket für Hanibal packen.“ Hanibal war auch mal Haschrebell und sitzt derzeit wegen Dealens im Knast. Vergnügt und wie immer ganz in Weiß steht Rainer Langhans, der blondgelockte Mitbegründer der legendären Kommune 1, zwischen Stühlen und Tischen und verkündet: „Politik ist das, wo man sich wohl fühlt.“ Vor einem Jahr, beim „Benno-Ohnesorg-Kongreß“ im Audimax der Technischen Universität Berlin, hatte er sich nicht so wohl gefühlt. Damals hatten ihn die wahren Linken um Jutta Ditfurth einen Esofaschisten genannt und Farbeier auf sein weißes Hemd geworfen. Danach hatte er ein bißchen wie Jesus ausgesehen. „Danach haben sich die SDSler zusammengesetzt und gesagt, wir können uns das nicht mehr gefallen lassen.“

Ein Dreivierteljahr lang trafen sich Langhans und andere 68er aus dem Haschrebellen- und Kommune-Umfeld, um den Jubiläumstagungen der Politfraktionen ein eigenes 68er-Fest entgegenzusetzen, das sie schließlich, nach der sogenannten Ruck-Rede Roman Herzogs, „Ready to Ruck“ nannten. Einen sozusagen bewußtseinsmäßigen Ruck wollte man ja auch. Alle sollen ver-ruckt werden! Auch wenn man's früher vielleicht eher „Break on thru to the other side“ genannt hätte. Weil man also keine Lust mehr hat, im eigenen Saft zu schmoren, aber doch auch weiterhin politisch und gesellschaftlich wirken möchte, „denn dies Projekt 68 ist noch gar nicht zu Ende, das ist eigentlich noch Zukunft“ (Langhans), sollen bei den drei Ready-to-Ruck-Tagen „die kreativen Kräfte aus drei Jahrzehnten“ einander kennenlernen und „das Beste aus Leben und Kultur – Erfahrungen, Gefühle und Phantasien“ zusammenwerfen.

Die in einem „Wohlfühlausschuß“ organisierten Protagonisten sind denkbar verschieden: Nina Hagen, Romy Haag, Bommi Baumann, Lord Knut – jahrelang das deutsche Pendant zu John Peel sozusagen –, Sandra Maischberger, Campino von den Toten Hosen, Christiane F. vom Bahnhof Zoo, Kabarettist Matthias Beltz, Hanfaktivist Mathias Bröckers, Haremsdame Gisela Getty. Als Repräsentanten derzeitiger Ruckversuche treten an: Christoph Schlingensief, Filmer, Theaterregisseur und Gründer der Partei Chance 2000, Marcella M., kolumnistischer Chronist des jungen Berliner Nachtlebens, Dr. Motte, der Erfinder der Love Parade, Marusha, DJ Westbam usw. usf. „Paul McCartney und Dennis Hopper waren auch schon kontaktet. Die hätten auch mitgemacht. Das ist nur mangels Finanzen leider gescheitert“, sagt Hanffreund und Mitorganisator Mathias Bröckers.

Sonnenschein und Hanfgetränke

Was – abgesehen von einer Einleitungsparty mit Westbam und Motte – genau bei „Ready to Ruck“ passieren soll, ist nicht so klar. „Wenn wir es schaffen, werden wir das ganze Tempodrom- Zelt mit Matratzen auslegen. Da sollen sich dann die Zuschauer niederlassen. In der Mitte gibt es eine Manege, wo Sofas rumstehen und kleine Talkrunden stattfinden. Auf der Bühne gibt es verschiedene Acts.“ Lord Knut präsentiert zusammen mit Kid Paul eine Soundcollage mit den Hanfgedichten von Mathias Bröckers, die unter anderem von Nina Hagen und Manfred Krug eingesprochen worden sind. Zwölf Schülerinnen der Sri Durgamayi Ma singen das längste Mantra der Welt. John Weinzierl und Chris Karrer von der legendären Krautrockcombo Amon Düül II treffen Dr. Motte. Außerdem sollen „Masseure rumlaufen, die den Leuten mal den Rücken kraulen. Denn es geht ja ums Wohlfühlen, und wenn du schlecht drauf bist, kommt eh nur Scheiße raus.“

Alles ist locker bei der Ready- to-Ruck-Pressekonferenz. Die Sonne scheint. Jemand singt Mantras. Am Rande raucht man eine generationenübergreifende Purpfeife. Jemand liegt auf einem Tisch und läßt sich massieren. Hanfsnacks und Cannabisgetränke stehen herum. Lord Knut hat eine Riesenbrille auf. Rainer Langhans, der seit mehr als 20 Jahren mit fünf Frauen in einem „virtuellen Harem“ an der kollektiven Vervollkommnung arbeitet, sagt: „Wir müssen an uns arbeiten, damit wir schön sind. Dann wollen die anderen das auch alle.“ Später sagt Langhans noch Sätze, die ihn als Esofaschisten ausweisen: „Wir haben damals absolut das Richtige gemacht, wir hatten es nur noch nicht begriffen. Da wurde ein großer Geist plötzlich über uns ausgeschüttet, und nun standen wir da und waren erleuchtet und wußten nicht, wie uns geschah. Unsere Väter mußten noch in die Schützengräben steigen und hatten da die große Erleuchtung, inklusive Hitler, der das ja wirklich magisch vertreten hat in einer sehr wissenden Weise. Heutzutage haben wir andere Möglichkeiten, uns zu erneuern und nach innen Kontakt aufzunehmen zu den tieferen Dingen. Leider Gottes darf man da ja nicht hingucken.“

Die Linken und der andere Rest

Das mag falsch sein, klingt skandalös, paßt aber komischerweise zu einem Zitat von Helmut Schmidt, der neulich im Fernsehen bemängelte, daß mittlerweile Leute in gesellschaftlichen Machtpositionen sitzen, die kein „Schicksal“ hätten; Weicheier und Warmduscher, die weder Krieg noch Kriegsgefangenschaft, noch irgendwelche Bombennächte erlebt hätten. Während Schmidt bedauert, daß die so wertvollen Kriegserfahrungen deutscher Soldaten nicht tradiert worden seien, bemühen sich die 68er, ihre Friedenserfahrungen weiterzugeben.

Das ist oft nicht so einfach. Mehrere Stunden versuchen mir die fünf Frauen aus dem virtuellen Haremsprojekt von Rainer Langhans zu erklären, was sie da machen. Ganz kapiert habe ich es immer noch nicht. In Sätzen klingt das Postkommuneprojekt recht klischeehaft. Fünf Frauen um die Fünfzig teilen sich seit zwanzig Jahren einen Mann; versuchen eine andere weibliche Identität aufzubauen oder sich zu dekonditionieren, machen Selbsterfahrung; laufen vor ihren negativen Energien und agressiven Impulsen nicht davon, sondern leben sie aus, um „durch das Dunkel zum Licht“ zu kommen, die „Kraft der zweiten Lebenshälfte“ (Christa Ritter) zu finden, in ozeanischen Gefühlen zu baden, sich selbst zu entdecken. Die Gruppenprozesse, die da ablaufen, scheinen ziemlich heavy zu sein. Gisela Getty spricht von einem „Tanz auf einer Rasierklinge“. Das klingt ziemlich komisch, doch die Getty-Zwillinge haben durchaus etwas Überzeugendes. Der so leicht leidende oder schwärmerische Ton in der Stimme anderer Selbsterfahrungsgrüppler geht ihnen ab.

Westbam ist auch ein 68er: „Ich erinnere mich dunkel, daß ich mit vier Jahren auf Demonstrationen gegangen bin und mir von unserem Kindergartenchef erklärt wurde, wir müßten jetzt ganz laut rufen, daß wir nicht wollen, daß die Amis in Vietnam weiter Krieg führen. Und ich weiß, daß mich das absolut fasziniert hat, daß man also, wenn man zu so vielen Leuten sei und nur laut genug rufen würde, daß die das hören würden. Ich hab' mir da vorgestellt, daß die das akustisch wahrnehmen, daß die Amis da hinter dem großen Teich stehen und die Ohren spitzen und dann denken: ,Donnerwetter. Vielleicht sollten wir uns das doch noch mal überlegen.‘“

Diese Parallele zwischen dem Hippie-Ding und dem Techno- House-Ding sei von Anfang an schon dagewesen. „Ich muß ja auch dazu sagen: ich finde Hippies toll! Mich inspiriert eigentlich nichts mehr als irgendein Hippie, am besten mit Schlapphut und langen Haaren, der so ausdruckstanzt. Da überlege ich immer, was will der denn als nächstes hören, damit er bloß nicht von der Tanzfläche geht. Weil ich mich da gar nicht dran sattsehen kann.“

Bommi Baumann findet Westbam ganz toll. Baumann kommt sich bei solchen Veranstaltungen „wie so ein Berufsjugendlicher vor. Ich mach mir Gedanken über die Farbe meines Sarges, und nun kommen die mir da mit Berufsjugendlichen! Absurd.“ „Das finde ich ein ganz wichtiges Thema. Die Farbe des Sarges und was damit zusammenhängt“, sagt Gerd Conrad, der gerade dabei ist, über seinen Studienfreund Holger Meins einen Film zu drehen. „Ich gehe jetzt zum Beispiel von hier ins Krankenhaus, weil meine Tante in den nächsten Tagen gehen wird. So ist die Diagnose. Für mich ist der Tod ein ganz wichtiges Thema. Das verbindet uns ja letztlich alle. Es gibt einen Haufen Leute, die schon nicht mehr da sind. Wir fangen erst an zu begreifen, wie verschieden wir eigentlich sind, und haben früher immer gedacht, wir wären gleich, wir sind links usw. Aber eigentlich sind wir total verschieden, und vielleicht sind die Linken verschiedener als der Rest. Ich bin nicht mehr links.“

Heute abend, 20 Uhr, im Tempodrom: „Der große Potlatsch“. Sonntag, 30.8., 12 Uhr, Tempodrom: „Frühstück mit Inhalt“