Die Wahl der CSU – ein Ritual

■ Vorsitzender Theo Waigel schimpft sich warm beim Wahlkampfauftakt der CSU. An Ministerpräsident Edmund Stoiber reicht er nicht heran

München (taz) – Den peinlichen Wahlkampf-Song „Theo, Edmund, CSU“ haben sie sich diesmal gespart, dafür aber ganz tief in die Grabbelkiste der 80er-Jahre- Musik gegriffen: „The final countdown“ ertönt aus dem Lautsprecher, und es scheint den CSU-Oberen wohl bewußt zu sein, daß es diesmal tatsächlich der letzte Aufmarsch der bayerischen Alleinregenten sein könnte. Noch vor dem Einzug mit obligatorischem Defiliermarsch hatte Theo Waigel die seinem Auto auflauernden Journalisten abgebügelt: Man habe hier Wichtigeres zu besprechen als die Kanzlernachfolge, und einen Kanzlerkandidaten habe man auch schon, Helmut Kohl.

Dann widmet er sich dem Wichtigen: „Die Stimmung wird täglich besser, auch die Umfragen. Wir spüren täglich sehr viel Anteilnahme.“ Auf der „Neuen Messe“ in München-Riem ist die CSU- Welt noch in Ordnung. Zwar sind die Berge weit weg, und die Natur beschränkt sich hier auf karge Grünflächen und vereinzelte Grasbüschel zwischen den Parkplätzen – trotzdem: Wir sind mitten in Bayern, und die Berge sind ganz nah. Auf den beiden hochmodernen Wahlkampfbussen von Theo Waigel und Edmund Stoiber prangen prächtige Alpensilhouetten. Auch drinnen, in der großen Halle, wo die rund 1.000 Delegierten sitzen, beherrschen die Berge das Bild. Vor einem riesigen Foto der wunderbaren bayerischen Landschaft, nicht entstellt durch Fabrikanlagen oder Atomkraftwerke, steht also Theo Waigel und schimpft. Er schimpft mal wieder auf die SPD im allgemeinen, die nicht regierungsfähig sei, auf den „Kommunistenfreund“ Gerhard Schröder im speziellen, auf die nahende „Volksfront“, die „wir nicht zulassen dürfen“, auf die „Einmischung“ des türkischen Ministerpräsidenten Yilmaz, der den Deutschen türkischer Abstammung empfohlen hat, SPD zu wählen, „was wir uns nicht gefallen lassen“.

Waigel schimpft auch auf das Gespenst der doppelten Staatsbürgerschaft und in diesem Zusammenhang auch auf das „13jährige Früchtchen“, der mitsamt seinen Eltern „hier nichts mehr verloren hat“ – dafür erntet er den größten Applaus. Später, bei Edmund Stoiber, reißen fast deckungsgleiche Thesen die Anwesenden zu noch größerem Jubel hoch – er ist einfach der bessere Redner, und Waigels Stimme ist durch den Wahlkampf schon etwas geschwächt.

„Bayern ohne die CSU, das ist wie Bayern ohne die Zugspitze“, ereifert sich Stoiber. Seine Gegenkandidatin Renate Schmidt von der SPD kann und will er nicht ernst nehmen, und die SPD-Ministerpräsidenten, die sich anmaßen, die CSU zu kritisieren, die will er hier nicht haben: „Die sollen nach Hause gehen und ihre Länder erst mal auf bayerischen Standard bringen.“ Man kann sich schon etwas wundern, warum so viele Menschen gekommen sind, nur um noch einmal zu hören, was sie vor wenigen Monaten genau so schon beim Politischen Aschermittwoch in Passau, beim kleinen Parteitag in Ingolstadt und auf zahlreichen weiteren Wahlkampfveranstaltungen gehört haben. Bewegen sie sich einfach gerne im High-Tech- Messe-Ambiente von München- Riem, auf blauen Teppichen und zwischen Pappkameraden von Stoiber und Waigel? Genießen sie das Gefühl, bei Weißbier unter sich zu sein und doch im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses?

Offenbar muß es immer wieder gesagt werden, damit es auch das letzte Parteimitglied im entscheidenden Moment in der Wahlkabine nicht vergißt. „Wichtiger Hinweis. Nur die Erst- und Zweitstimme für die CSU sichern Bayern eine gute Zukunft“, weist der Bayernkurier seine Leser noch einmal zurecht. Und spätestens dann, wenn man aufblickt aus dem Parteiorgan und hinein in die glänzenden Augen der ihrem Ministerpräsidenten lauschenden Parteimitglieder, wird es klar: Die CSU ist eigentlich gar keine Partei. Sie ist eine Religion, und ihre Wahl ist ein Ritual. Stefan Kuzmany