Nur Joschka erzeugt Kampfeslust

In dem Berliner Szenelokal Prater eröffneten die Grünen ihren Wahlkampf mit prominenten Köpfen der Partei. Neben dem heimlichen Spitzenkandidaten Joschka Fischer verblaßten die Promis. Ein bißchen Amerika  ■ Aus Berlin Jutta Wagemann

Eigentlich sollte zu seinem Einmarsch „Always looking on the bride side of life“ aus vier Saxophonen erschallen. Doch wie schon den ganzen Abend über klappte die Inszenierung nicht ganz. „Denkt euch Monty Python einfach dazu“, forderte Moderator Wolfgang Wieland die Fans auf, als es endlich soweit war: Der Star des Abends, Joschka Fischer, war eingetroffen – vier Stunden nach Beginn der Veranstaltung im Szenelokal „Prater“ im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, wo die Bündnisgrünen Donnerstag abend ihren Wahlkampf eröffneten.

Den Auftritt ihres Fraktionssprechers hatten die Grünen sorgsam vorbereitet. Die Berliner Spitzenkandidatin Andrea Fischer und Moderator Wolfgang Wieland priesen unter dem Jubel der rund 1.000 Zuhörer Joschka-Devotionalien als Preise einer Tombola an: Ein Jogging-Trikot, gewaschen und handsigniert, sowie sein neues Buch, gebunden und ebenfalls mit Unterschrift versehen, gab's zu gewinnen. „Bei uns gibt es keine Nieten“, rief Andrea Fischer – und freute sich ausgiebig über ihr Wortspiel.

Die Rede von Joschka Fischer kam gerade noch rechtzeitig, ehe der Wahlkampfauftakt endgültig zerfaserte. Grüne Prominenz wie Frakionssprecherin Kerstin Müller und der möglicherweise erste direkt gewählte Abgeordnete, Christian Ströbele (in Berlins Wahlbezirk Kreuzberg/Schöneberg) hatten zuvor schon tapfer versucht, mit grünen Positionen Stimmung zu machen. Wie auf ihren Plakaten präsentierten die Grünen in diesem Wahlkampf zum ersten Mal vor allem Köpfe.

Doch das Rezept funktionierte nur bei Joschka Fischer. Zwar propagierten alle, daß ein Politikwechsel nur mit Rot-Grün zu erreichen sei. Aber nur Fischer brachte Kampfeslust in den Saal. Die Partei hat's nötig: Bei Forsa lag sie zuletzt nur noch bei 5, bei einer Emnid-Umfrage gar bei 3 Prozent. Genausowenig wie beim Frauenquartett Müller, Fischer, Birthler, Röstel sprang bei Vorstandssprecher Jürgen Trittin der Funke über. In seiner gewohnt trockenen Art kalauerte Trittin, was das Zeug hielt. Regte sich über den „Schmutz- und Sudelwahlkampf“ der CDU in der Bild auf und lästerte über Kohl als „fettester lahmer Ente in der Politikgeschichte“. Doch er riß die Zuhörer – vor allem junge Leute zwischen 20 und 35 – nicht mit. Anstandshalber blieben während der Rede die meisten im Saal. Nach dem Schlußpunkt stürzten jedoch fast alle hinaus zu Bier und Tofu-Sesam-Gemüserollen und vegetarischen Knusperstangen ohne Ei. Eier flogen dafür aufs Rednerpult: Gerade hatten Fotografen und Kameraleute die Sicht auf Joschka Fischer freigegeben, als ein Mitglied der autonomen Szene zielte und traf.

Ausgiebig wischte sich der Grünen-Popstar die Finger ab: „Laßt den Jungen doch in Ruhe“, rief er zu den Ordnungshütern. Einen souveräneren Start hätte Fischer – in schwarzem Anzug und schwarzem T-Shirt – kaum haben können. Ironisch machte er sich über das Koalitionsangebot von Helmut Kohl her: „Da waren wir platt.“ Die Absage an den CDU-Chef kam gleich hinterher: „16 Neujahrsansprachen reichen.“ Der 27. September, der Wahltag, sei das „Verfallsdatum von Kohl“. Drei, vier Sätze brauchte das Zugpferd der Grünen, dann folgten ihm alle gebannt.

Von der guten Stimmung getragen, schreckte Fischer auch vor heiklen Themen nicht zurück: Benzinpreis von fünf Mark, Ökosteuer und Tempolimit. Eindringlich warnte der heimliche Spitzenkandidat der Grünen vor einer großen Koalition. Deshalb riet Fischer auch von der PDS ab. Eine Stimme für die PDS könne höchstens eine große Koalition befördern. Seine Argumentation lief nur auf eines hinaus: Wählt grün. Der Fraktionschef weiß, daß es knapp werden könnte.

Zum Finale kamen noch mal alle, alle Promis auf die Bühne, und Hunderte Luftballons schwebten von der Decke. Ein bißchen Amerika in dem einstigen KPD-Saal mit der abblätternden Farbe. Aber eben nur ein bißchen.