Mörderischer Dienst

■ Uwe Lohalms Studie hanseatischer „Fürsorge und Verfolgung“ in der NS-Zeit

Fürsorge und Verfolgung: Zwei Begriffe, die nicht zueinander passen, gingen im nationalsozialistischen Hamburg eine bürokratische Allianz ein. Die Beteiligung der Fürsorgebehörde an antijüdischer Ausgrenzung und Repression seit 1933 hat der Historiker Uwe Lohalm in einer aufschlußreichen Publikation untersucht.

Schon lange vor dem Novemberpogrom von 1938 reagierte die kommunale Wohlfahrtsverwaltung positiv auf judenfeindliche Forderungen und diskriminierte die Religionsgemeinschaft auch eigenständig. So wurden bereits 1933 langjährige MitarbeiterInnen entlassen und jüdische Geschäftsleute von staatlichen Aufträgen ausgeschlossen. Später konstituierte sie die neue Fürsorgegruppe der Juden, deren Aussonderung bald betrieben wurde.

Lohalm wählt einen stimmigen Zugang: Er betrachtet strukturelles behördliches Vorgehen und gleicht dies mit dem Verhalten der MitarbeiterInnen ab. Daraus ergibt sich ein widersprüchliches und heterogenes Bild: In der Familienfürsorge gab es zum Beispiel kaum eigene Aktivitäten gegen Juden, während sich vor allem das Jugendamt eilfertig hervortat. Es entfalteten sich nationalsozialistische Vorstellungen, ohne von oben in Gang gesetzt oder gesteuert zu werden: „Administrative Selbstläufe“, getragen von MitarbeiterInnen, die sich vorbehaltlos dazu bereit erklärten, die unterdrückenden Maßnahmen auszugestalten. Der Autor erklärt deren Motive mit der Angst vor persönlichen Nachteilen oder dem Nachgeben gegenüber politischem Druck, mit vorauseilendem Gehorsam und bürokratischem Diensteifer.

Im Ergebnis widerspricht Lohalm der Ansicht, daß die kommunalen Verwaltungen nur als ausführende Organe der Reichspolitik dienten. Gerade die Hamburger Fürsorgebehörde unter Leitung von Oskar Martini war initiativ und wegweisend beim Ausschluß der Juden aus dem Solidarverband der deutschen Gesellschaft.

Lohalms etwas sperrig zu lesende, sehr differenzierte Studie wendet sich an Fachleute und interessierte Laien. Er fügt den Arbeiten zur NS-Zeit ein bisher wenig beachtetes Kapitel hinzu und liefert einen weiteren Mosaikstein zu einer umfassenderen Alltags- und Gesellschaftsgeschichte des „Dritten Reichs“ in Hamburg – die allerdings wartet schon lange darauf, geschrieben zu werden.

Thomas Schulze

Uwe Lohalm: „Fürsorge und Verfolgung. Öffentliche Wohlfahrtsverwaltung und nationalsozialistische Judenpolitik in Hamburg 1933 bis 1942“, Ergebnisse Verlag, Hamburg 1998, 111 Seiten