Entsetzen im bronzenen Gesicht

■ Belgisches Denkmal auf der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eingeweiht: „Vergangenheit über Kunsterinnerung wachhalten“

Ende Juli 1944 wird in der kleinen flämischen Gemeinde Meensel-Kiezegem, 40 Kilometer von Brüssel entfernt, ein belgischer Kollaborateur der deutschen Besatzungsmacht ermordet. Die Tat bleibt unaufgeklärt, doch die Nazis rächen sie umgehend: Bei Razzien verhaftet die SS alle Männer zwischen 18 und 65 Jahren. Einundsechzig von ihnen werden in das Konzentrationslager Neuengamme deportiert; nur acht überleben die Qualen.

Das Verbrechen von Meensel-Kiezegem sei in Deutschland 53 Jahre nach Kriegsende weitestgehend unbekannt, sagte am Samstag Hamburgs Kultursenatorin Christina Weiss (parteilos) auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Dort wurde das Denkmal „Die Verzweiflung von Meensel-Kiezegem“ der belgischen Künstlerin May Claerhout eingeweiht – zum Gedenken der Ermordeten, ihrer Mütter, Schwestern, Freundinnen, Töchter und Witwen. Es sei wichtig, die Vergangenheit „über die Kunsterinnerung“ wachzuhalten, mahnte Weiss. Die belgische Stiftung Meensel-Kiezegem '44 hatte die Bronze-Statue als Symbol für eine der von der Nazi-Herrschaft am schwersten betroffenen Gemeinden Europas errichten lassen. „Die Kriegsmisere endet nicht mit dem letzten Schußwechsel. Den Nahestehenden bleibt das Leid“, erklärte Stiftungs-Präsident Guido Hendrickx mit Blick auf die Bronze-Statue – eine schreiende Frau, der das Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht. 106.000 Menschen aus ganz Europa zwangen die Nazis zwischen 1938 und 1945 in das KZ Neuengamme. 55.000 von ihnen starben, mißbraucht für medizinische Experimente, geschunden, ermordet. Wie die Männer von Meensel-Kiezegem. Heike Haarhoff