■ Nachschlag: Punk und Bach: Mit „Les Ballets“ ging Tanz im August zu Ende
Das aufregendste Stück des August-Festivals hat sich das Hebbel- Theater für den Schluß aufgehoben. Mit „Iets op Bach“ (Irgend etwas über Bach) brachte die belgische Truppe „Les Ballets“ ein katastrophisches Lebensgefühl von heute auf den Punkt, das ohne den Trost der Musik von Johann Sebastian Bach nicht auszuhalten gewesen wäre. Selten macht Cross-culture so viel Sinn: Kein beliebiges Wechselbad der Gefühle ist aus der Begegnung von Artistik, Hip- Hop, Tanz und den Kantaten entstanden, für die acht Musiker und drei Sänger auf der Bühne standen, sondern eine Partitur der Emotionen, die im richtigen Moment Spannung bricht, Aufgeregtheit beruhigt und vorhersehbare Pointen fallenläßt. Irgendwann bekommt der Tanz, erst eher beiläufig eingestreut, etwas von dem Mut, den Frustrationen und dem Scheitern zum Trotz weiterzuleben.
Dabei glaubt man anfangs, dem Chaos nicht gewachsen zu sein. Irgendwo zwischen fahrenden Artisten, urlaubenden Campern und Ausgeflippten ist das an den Rändern vollgemüllte Bühnenbild angesiedelt. Kleine Kinder wuseln zwischen den Beinen der Akteure, spielen mit ihren Autos, tanzen gelegentlich mit und werden manchmal als Opfer der Erwachsenen in die kurzen theatralischen Szenen mit einbezogen. Ein Artist, der anfangs über Feuer brät und Kanonenkugeln mit dem Bauch auffängt, schleudert später Sägeblätter zwischen den Tanzenden hindurch auf eine Holzwand. Er verkörpert den Kindertraum vom Abenteuer, die Absurdität des Kunststücks und einen ungestillten Erfahrungshunger, der bis zur Selbstgefährdung reicht. Der setzt sich in einem extremen Tanzstil fort, athletisch, komisch, kopfüber, als Nahkampftraining geeignet.
Ohne die Bereitschaft aller Beteiligten, sich auf die unterschiedlichsten Sprachen des Körpers einzulassen, um von seinen Ängsten und Sehnsüchten erfahren zu können, wäre ein solches Stück nicht möglich. Die Geduld des Geschehen-Lassens und die Neugierde für das Unvorhersehbare hat Alain Patel, Choreograph und Regisseur, wohl aus seinem vorherigen Beruf als Therapeut gestörter Kinder mitgebracht. Der Witz des Stückes entsteht nicht zuletzt aus der Situation der Improvisation; daß da einer was versucht, von dem die anderen auf der Bühne erst noch überzeugt werden müssen. Wenn „Iets op Bach“ am Ende auch etwas langatmig in eine bloße Reihung ausfranst, so entschädigt doch dieses Gefühl der Gemeinsamkeit für die Szenen vom Ausrasten, von hinausgeschrieener Verzweiflung und Gewalt. Katrin Bettina Müller
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