Bill und Boris – das ist so gut wie Henry und Leonid

■ Den einen riß der Sturz des Rubels beinahe mit, der andere hat zu Hause eine Sexaffäre auszustehen: Jelzin und Clinton werden in Moskau sehr bemüht ein Routinetreffen inszenieren

Die Karikatur zeigte einen arg gebeutelten amerikanischen Präsidenten wie er sich von den Stufen des Kreml zusammenrafft, seine ramponierte Kleidung glattbürstet und sich anschickt, bei seinem Gastgeber einzutreten. „Zusammennehmen, tun, als sei nichts geschehen und präsidial wirken“, ruft ihm sein Begleiter zu. Die beiden Amerikaner waren gerade von einem Hund angefallen und übel zugerichtet worden. Der Hund hieß Vietnam, das Jahr war 1972, der zerzauste Präsident war Richard Nixon, sein Begleiter Herny Kissinger, der Gastgeber Leonid Breschnjew.

Wenn die Präsidenten Clinton und Jelzin in dieser Woche zusammentreffen, werden an beiden Enden des Konferenztisches angeschlagene Politiker sitzen, die alle Mühe haben werden, so zu tun, als sei dies ein Routinebesuch. Der eine wurde vom Sturz des Rubels beinahe mitgerissen, der andere ist vom heimischen Sexskandal ebenso gedemütigt wie von Terroranschlägen auf US-Einrichtungen in Afrika und der jüngsten Konfrontation mit dem Irak. Clinton ist nach seiner schlappen Beichte und seinem halben Geständnis innenpolitisch beschränkt handlungsunfähig und auch außenpolitisch steht er schlecht da. Der Irak ist von einer Entwaffnung so weit entfernt wie vor 7 Jahren, während die alte Golf-Koalition bröckelt. Die Raketenangriffe auf Afghanistan und den Sudan erscheinen als übereilte Überreaktion, die den Terrorismus nicht eindämmen, dafür aber die arabisch- islamische Solidarität stärken, und der Friedensprozeß im Nahen Osten kommt keinen Schritt voran. Zu seinen Mißerfolgen muß Clinton auch Jelzins Wirtschaftskrise zählen.

„Wir haben seit Jahren irreführende Zahlen über die Entwicklung in Rußland veröffentlicht. Die Clinton-Regierung hat dem amerikanischen Volk keinen reinen Wein über die wirkliche Lage in Rußland eingeschenkt, sondern immer nur ausgerufen, seht doch den Triumph russischer Demokratie, seht den demokratisch gewählten Demokraten Boris Jelzin. Und was machen wir jetzt?“ Das fragt Dimitri Simes vom Washingtoner Nixon Center, einem Think Tank für strategische und internationale Fragen. Mit Boris Jelzin wird Bill Clinton nicht über die ursprünglich vereinbarten Themen reden können, über russische Waffenverkäufe und Rußlands noch immer potentes Atomarsenal, über Irak und Kosovo. Rußlands Wirtschaft wird der dominierende Tagesordnungspunkt sein. Dimitri Simes: „Was Clinton begreifen muß, wenn er nach Rußland fährt, ist, daß weniger mehr sein kann. Wir müssen aufhören, Rußland wie unser Protektorat zu behandeln, und Clinton soll seine Fixierung auf Jelzin aufgeben.“

Das schlimmste für Clinton ist, daß der Sturz des Rubels auch Amerika heimsucht. Nach dem Kurssturz an der Wall Street am Donnerstag meldete die Zeitung USA Today: „Die Krise kommt nach Hause – Weltwirtschaftskrise landet auf unserer Treppe“. Daß der Rückgang des Dow Jones letzte Woche nicht einmal Platz 20 auf der Liste der dramatischen Kursstürze belegte, und daß letzte Woche neue in Washington vorgelegte Wirtschaftszahlen niedrige Arbeitslosigkeit und hohe Investitionstätigkeit nachwiesen, dämpfte die Krisenstimmung ebensowenig wie der Hinweis der Washington Post darauf, daß die russische Wirtschaft den Umfang etwa der dänischen hat.

Bis zum letzten Augenblick war in Washington darüber gerätselt worden, ob Clinton in dieser Situation überhaupt nach Rußland fahren werde. Amerikas Rußlandexperten überboten sich mit Ratschlägen. Peter Reddaway, Rußlandspezialist an der Georgetown University, empfahl in der New York Times, der Präsident solle seine Reise abblasen, weil er in Moskau keinen Gesprächspartner finden würde, der auch morgen noch etwas zu sagen haben werde. Marshall Goldman hingegen, Rußlandspezialist vom Wellesley College, warnte, daß eine Absage Clintons einer Katastrophe gleichkäme und in Rußland eine Panik auslösen würde.

In einer Hinsicht hat sich wenig geändert im amerikanisch-russischen Verhältnis seit dem Ende des Kalten Krieges vor neun Jahren. Das Schicksal der beiden Großmächte scheint unentwirrbar miteinander verbunden, als ginge die eine mit der anderen unter und als könne die andere ohne die eine nicht leben. Und schon wie zu Breschnjews Zeiten, sind die beiden politischen Führer aufeinander fixiert. Das Verhältnis Jelzin – Clinton ist wie die Spiegelverkehrung des früheren Verhältnisses zwischen Henry Nixon und Leonid Breschnjew.

„Wir sollten endlich akzeptieren, daß es außer Jelzin noch andere Politiker in Rußland gibt und daß Rußland auch andere Wege gehen kann als wir“, sagte Keith Bush, Direktor des Rußlandprogramms des Nixon Instituts. Peter Tautfest, Washington