Press-Schlag
: Urteile gegen die Zeit

■ Die ersten Geldstrafen im Pilotprozeß zum DDR-Doping wecken Hoffnung auf mehr

Wenn die Justiz in jenem Tempo weiter Gerechtigkeit übt – oder auch nicht, je nach Standpunkt –, das sie im sogenannten Pilotprozeß zum DDR-Doping an den Tag legte, wird die Zeit knapp. Am 2. Oktober des Jahres 2000 ist das Vergehen der Körperverletzung durch die Vergabe gesundheitsschädlicher Medikamente verjährt, und bis dahin sind noch weit mehr als 100 Verfahren abzuschließen, darunter die gegen die wahren Objekte der staatsanwaltlichen Begierde, die einstigen Oberhäupter des DDR- Sports.

Immerhin gab es gestern die ersten Urteile in dem Prozeß gegen Ärzte und Trainer des BSC Dynamo, der inzwischen vom Verfahren gegen Mitglieder des Klubs TSC überholt wurde, deren Urteile am 20. August gesprochen wurden. Sie kamen aufgrund ihrer Geständigkeit und großen Reue mit Geldstrafen davon. Auch die Geldstrafen für den Arzt Dieter Binus (9.000 Mark) und den Trainer Rolf Gläser (7.200 Mark) konnten nur deshalb schon gestern verhängt werden, weil die beiden Angeklagten einen Teil der ihnen zur Last gelegten Handlungen zugaben. Die anderen vier Beschuldigten, gegen die getrennt weiterverhandelt wird, schweigen nach wie vor eisern. Nachdem in ihrem Fall gestern lediglich einige Fakten geklärt wurden, soll in der nächsten Woche der ehemalige Präsident des Deutschen Schwimmverbandes (DSV), Harm Beyer, vor dem Landgericht Berlin erscheinen und den Eindruck des Generalstaatsanwaltes Christoph Schaefgen korrigieren helfen, daß „nicht alle, auch westdeutschen, Sportfunktionäre an der Aufklärung so mitgewirkt haben, wie wir es an sich erwartet hätten“.

Rolf Gläser, von einer Zeugin, der ehemaligen Schwimmerin Christiane Knacke-Gläser, schon lange vor dem Prozeß als „einer der schärfsten Anabolika-Trainer der DDR“ bezeichnet, hatte ebenso wie Dr. Binus die Weitergabe von Tabletten mit dem Anabolikum Oral-Turinabol eingeräumt. Beide erklärten, an der Planung des Dopingeinsatzes nicht beteiligt gewesen zu sein. Die wesentlich schwerwiegendere Verabreichung von Testosteron-Spritzen bestritten sie. Ab 1979 sei „vom Verbandsarzt in zunehmenden Maße auf die Anwendung von Injektionen mit Testosteronpräparaten orientiert“ worden, räumte Dr. Binus ein und fügte hinzu: „Ich ging davon aus, daß die Gefahr der Virilisierung wesentlich größer sein konnte.“ In der Tat wurden entsprechende Auswirkungen (extremer Haarwuchs, tiefe Stimmen, Persönlichkeitsveränderungen), wie aus den Stasi-Unterlagen von Manfred Höppner, dem stellvertretenden Leiter des sportmedizinischen Dienstes, hervorgeht, in großem Maße festgestellt und die Erkenntnisse an die Sportführung weitergeleitet.

Die im Pilotprozeß konstatierten körperlichen Schädigungen, die von den geständigen Angeklagten eingeräumten Tatbestände und die entsprechenden Urteile sollen nun die Basis dafür bilden, denjenigen zu Leibe zu rücken, die das DDR-Dopingsystem mit ausgewiesener Skrupellosigkeit installierten, kontrollierten und forcierten: den damaligen Spitzenfunktionären des DDR- Sports. Den Vorwurf, bloß die Kleinen zu verfolgen und die Großen unbehelligt zu lassen, weist Generalstaatsanwalt Schaefgen weit von sich. Lediglich Egon Krenz, im Politbüro für den Sport zuständig, könne nicht belangt werden, da es „keine konkreten Handlungshinweise“ gebe. Die Ermittlungen gegen DDR-Sportchef Manfred Ewald und andere sollen, so hofft Schaefgen, im nächsten Jahr abgeschlossen werden. Sollte dies nicht gelingen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß dem Pilotprozeß doch noch eine saftige Bruchlandung folgt. Matti Lieske