Harald und die bösen Menschen

Am 27. September wählt Mecklenburg-Vorpommern einen neuen Landtag. Harald Ringstorff, derzeit noch Fraktions- und Parteichef der SPD, bemüht sich, neuer Ministerpräsident zu werden – mit den Stimmen der PDS  ■ Von Robin Alexander

Hier tourt einer, der gewinnen will: Harald Ringstorff ist guter Dinge, es ist Sommer, und die Umfragen sehen die SPD in Mecklenburg-Vorpommern 10 Prozentpunkte vor der CDU. Wahlkampf auf der Insel Rügen scheint heute eine leichte Aufgabe. 500 Mecklenburger sind zur Strandpromenade gekommen, genießen die Sonne und wollen ihren wahrscheinlichen nächsten Landesvater sehen. Der trägt Naturleinen, streicht sich konzentriert über den grauen Bart, tritt vors Mikro – und schon ist die gute Stimmung verflogen.

Von „Politikwechsel“ und „mehr Gerechtigkeit“ spricht Ringstorff, aber es klingt anders als bei Oskar Lafontaine oder sogar Franz Müntefering. Bärbeißig redet Ringstorff auf seine Mecklenburger ein. Die klatschen nur müde und holen sich ein Eis. Ringstorff wird wohl trotzdem bei der Landtagswahl am 27. September gewinnen. Obwohl ihn häufiger Touristen aus dem Westen als Einheimische erkennen. Seine Sozialdemokraten an der Ostseeküste kriegen noch nicht einmal einen Infostand organisiert, wenn der Chef Wahlkampf macht. Die SPD will stärkste Fraktion im Landtag werden. Und sie will mit Unterstützung der PDS regieren. Allein dies zu wollen, ist Harald Ringstorffs eigentlicher Sieg.

„Seit 1994 ist mir klar, daß eine Mehrheit jenseits der Union nur mit der PDS möglich ist“, sagt er. Diese Mehrheit zu organisieren, ist seither seine Hauptbeschäftigung. Damals hat die PDS, trotz murrender Basis, eine Entschuldigung für das DDR-Unrecht und die Zwangsvereinigung der Arbeiterparteien geliefert. Eine Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgerin aber wußte die SPD-Parteizentrale in Bonn zu verhindern. Sie fürchtete, eine Zusammenarbeit könne den Wahlerfolg von Rudolf Scharping bei der Bundestagswahl verhindern.

Zwei Jahre später, 1996, wollte Ringstorff die Gysi-Partei in die Regierung holen. Doch die Bonner SPD-Parteiführung lehnte ab. Die SPD Mecklenburg-Vorpommern blieb Juniorpartner in einer verhaßten Großen Koalition, Ringstorff war zum Verlierer gestempelt und trat als Wirtschaftsminister zurück. Sein rot-rotes Projekt schien erledigt, bevor es recht begonnen hatte.

Aber so schnell gibt der „Steher“ (Ringstorff über Ringstorff) nicht auf. „Druck erzeugt Gegendruck“, diesen Lehrsatz aus der Physik hat der promovierte Chemiker vor zwei Jahren zu seinem persönlichen Motto erklärt. Unermüdlich warb der sture Mecklenburger unter seinen Parteifreunden für die Zusammenarbeit, beinahe jeden der 4.000 Sozialdemokraten in seinem Landesverband soll er im persönlichen Gespräch umgestimmt haben. Spätestens seit Juli, als der Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering eine Zusammenarbeit mit der PDS zur alleinigen Sache der Landesverbände erklärte, hat Harald Ringstorff Oberwasser.

Der Wind weht Harald Ringstorff nicht mehr ins Gesicht, zumindest an der Ostsee nicht. In Binz haben Urlauber und Einheimische mehr Angst vor den Grünen in Bonn als vor der PDS in Schwerin. „Die rüttelt wenigstens nicht an der A 20“, hört Ringstorff in Binz immer wieder. Die A 20 ist eine geplante Autobahn, mit deren Fertigstellung der gemeine Mecklenburger messianische Heilserwartungen verbindet. Was Ringstorff zusammen mit der PDS verwirklichen will, nennt er „mehr soziale Gerechtigkeit“. Er könnte auch ,mehr Staat‘ oder ,ein kleines bißchen DDR‘ sagen. Ausbildungsplätze will Ringstorff durch Umlagefinanzierung erzwingen und öffentlich geförderte Arbeit ausdehnen. „Bei der PDS gibt es viele, die eigentlich sozialdemokratisch denken“, sagt Ringstorff. Ähnlich denken Ringstorff und die PDS wohl auch über den Westen.

„In Hamburg ist die Zahl der Millionäre seit der Wendezeit um einige tausend gestiegen“, glaubt Ringstorff und, „unser strukturschwaches Land wird zugunsten des Shareholder value ausgebeutet.“ Viele Zuhörer hier in Binz sagen, sie werden SPD oder PDS wählen. Aber sie sagen es beiläufig, beinahe gelangweilt.

Begeisterung für den erwarteten Regierungswechsel entwickelt niemand. „Schlimmer als jetzt kann es auch nicht werden“, sagen die Rüganer über Ringstorff und seine „Regierung ohne CDU“. Vielleicht wird es sogar ein kleines bißchen weniger schlimm. Das ist die einzige Hoffnung, die die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern mit einer linken Regierung verbinden. Die Mecklenburger Misere – 18 Prozent Arbeitslosigkeit, Abwanderung, rechtsradikale Jugendkultur – wird nach der Wahl halt von jemand anderem verwaltet.

Am Abend wird Ringstorff im Stralsunder SPD-Ortsverein gefragt: „Müssen wir denn unbedingt mit der PDS zusammengehen?“ Biographische Nähe ist es jedenfalls nicht, die Harald Ringstorff zur Partei der entwerteten Lebensläufe treibt. Wie die meisten Sozialdemokraten in den neuen Ländern stand auch Harald Ringstorff dem SED-Staat reserviert gegenüber. Sein Vater, ein kleiner Einzelhändler in Wittenburg, wurde enteignet. Während des Studiums blieb Harald Ringstorff trotz karriereversprechender Angebote trotzig parteilos. Im November 1989 gründete er mit einem Dutzend Mitstreitern in Rostock die damals noch illegale SDP, die später zur Ost-SPD wurde. Ist es die reine Machtgier, die Ringstorff in die Arme der SED-Nachfolgerin treibt? Ist dem 59jährigen einfach jede Stimme recht, damit er endlich Ministerpräsident wird?

Die Antwort hat drei Buchstaben: CDU. Ringstorff berichtet nicht vom politischen Gegner und Koalitionspartner, er erzählt von bösen Menschen. Von der bösen Angela Merkel, die CDU-Landesvorsitzende will Plakate kleben lassen, auf denen „SPDS“ draufsteht. „Das hat es schon 1990 gegeben. In der Wendezeit bin ich gefragt worden: Seid ihr jetzt die neue SED?“ erinnert sich Ringstorff schaudernd. Oder vom bösen Berndt Seite, dem Ministerpräsidenten, für den 20 Prozent der Mecklenburger „Bodensatz“ sind. Der Oberbösewicht ist Eckhard Rehberg. So böse, daß Ringstorff kein Wort mehr mit seinem direkten Gegenspieler im Landtag wechselt, der im Parlament die mühsam vereinbarten Kompromisse aus purer Profilierungssucht zerredet. Ein Populist reinsten Wassers, der dem leidenden Ringstorff sogar den Spaß am Fußball verdorben hat, seit Rehberg als Präsident auch „Hansa Rostock skrupellos im Wahlkampf benutzt“.

„Konvertiten sind immer die Schlimmsten“, sagt Ringstorff. Konvertiert sind für ihn die einst gläubigen DDR-Altkader der CDU allesamt: Sie beten den neuen Gott Marktwirtschaft an. Froh sind sie, auch in der neuen Gesellschaft ihre Schäfchen im trockenen zu haben. Ausgerechnet Berndt Seite spielt heute den „Widerstandskämpfer“. Dieser Seite, der einst an die Kreisleitung Beschwerdebriefe schrieb, weil seine Tochter nicht FDJ-Sekretärin geworden war. Solchen Leuten traut Harald Ringstorff aus Erfahrung den schlimmsten Verrat zu: Hat nicht 1990 nur ein dubioser Überläufer der Union die Mehrheit in Mecklenburg-Vorpommern verschafft? Eckhard Rehberg hat Ringstorff 1996 zur Schnecke gemacht, weil dieser mit der PDS- Fraktion verhandelte. Derselbe Rehberg hat sich nur wenige Tage später mit der PDS-Fraktionsvorsitzenden getroffen – heimlich auf einer Autobahnraststätte.

Mit den Konvertiten und Verrätern von der CDU will Harald Ringstorff nicht länger zusammengehen, dann schon lieber mit den Ex-Kommunisten. „Mit der PDS mag es schwer sein, zu einer Einigung zu kommen. Anders als die Union hält sich die PDS dann aber an diese.“ Und so zieht Harald Ringstorff durch Mecklenburg, wirbt laut für die SPD und leise für die Zusammenarbeit mit der PDS. Zäh arbeitet er am Projekt seines Lebens: einer Regierung ohne CDU.