„In Berlin sind die Empfindsamkeiten groß“

■ Micha Brumlik, für die Grünen im Frankfurter Stadtparlament, zum Streit um die Wiederaufführung des angeblich antisemitischen Fassbinder-Stückes „Der Müll, die Stadt und der Tod“ in Berlin

taz: Vor 13 Jahren gab es in Frankfurt heftige Auseinandersetzungen um das angeblich antisemitische Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ von Fassbinder. Heute gibt es den gleichen Streit in Berlin. Wie war Ihre Position damals?

Michael Brumlik: Damals war ich entschieden dafür, die Aufführung des Stückes zu verhindern. Denn die obszöne Ehrung der SS- Gräber in Bitburg durch Bundeskanzler Kohl war gerade einmal ein paar Monate her. Das stand für mich im Kontext zu der beabsichtigten Aufführung eines Stückes, das sehr stark antijudaistische, wenn nicht gar antisemitische Züge trägt.

Dazu kam, daß der damalige Intendant der städtischen Bühnen, Jürgen Rühle, das Werk sogar als Beitrag zur deutsch- jüdischen Versöhnung präsentieren wollte.

Mit Ihrer Meinung standen Sie in der linksalternativen Polit- und Kulturszene der Stadt relativ allein da. Dany Cohn-Bendit etwa plädierte für die Aufführung...

Dany hat die Freiheit der Kunst für wichtiger gehalten als die Empfindsamkeit der nach wie vor schwer traumatisierten Gruppe der Juden in Deutschland. Allerdings haben die Auseinandersetzungen um das Stück auch das Coming-out der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, wenigstens aber in Frankfurt, provoziert. Die jüdische Gemeinde präsentierte sich in diesem Konflikt erstmals kollektiv öffentlich in ihrer Verletzlichkeit. Und sie hat sich zum ersten Mal – ein emanzipatorischer Akt – zu ihren ökonomischen Grundlagen bekannt. Ignatz Bubis etwa hat in diesem Diskussionszusammenhang den wirklich prägenden Satz geäußert, daß er ein Spekulant sei und daß er dazu auch stehe.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin hat das Stück ein Dokument „goebbelsscher Qualität“ genannt und gegen eine geplante Aufführung protestiert.

Die Jüdische Gemeinde in Berlin fühlt sich mit einem gewissen Recht von der Politik mißachtet. Das fing an mit den Auseinandersetzungen über die Besetzung der Leitung des Jüdischen Museums. Das setzte sich fort mit der Verweigerung Eberhard Diepgens gegenüber dem Holocaust-Mahnmal. In Berlin sind die Empfindsamkeiten bei den führenden Köpfen der Jüdischen Gemeinde nach wie vor groß. Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt