Das Theater und der Müll

Rainer Werner Fassbinders „Müll“-Stück soll am Berliner Gorki Theater aufgeführt werden. Vor 13 Jahren war es schon einmal Gegenstand einer Antisemitismusdebatte  ■ Von Harry Nutt

Müllprobleme und kein Ende. 23 Jahre nach seinem Entstehen und 13 nach einer ausschließlich der Presse vorbehaltenen Vorstellung von Rainer Werner Fassbinders „Der Müll, die Stadt und der Tod“ ist erneut eine Kontroverse um die deutsche Erstaufführung des Theaterstücks entstanden. „Ich hatte gehofft, daß eine solche Aufführung derartige Reaktionen heute nicht mehr hervorruft“, sagte der Intendant des Berliner Maxim Gorki Theaters, Bernd Wilms, der Fassbinders Stück 1999 als Doppelinszenierung zusammen mit einer Bearbeitung von Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ in den Spielplan aufgenommen hat.

Die für die kommende Saison geplante Aufführung rief den Protest Andreas Nachamas, des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlins, hervor. Er kündigte an, die Jüdische Gemeinde werde alle ihre zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um zu verhindern, „daß, in welcher Form auch immer, dieses Dokument goebbelsscher Qualität in Berlin die noch immer von den Schatten der Vergangenheit gezeichneten, aber sich stetig entwickelnden Beziehungen zwischen der Jüdischen Gemeinde und der Mehrheitsgesellschaft aufs unerträgliche belastet.“

Fassbinders Stück, das nach der Vorlage des Romans von Gerhard Zwerenz „Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond“ entstand, war seit 1975 mehrfach Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen. Anlaß dafür war die zentrale Figur des Stücks, ein „reicher Jude“, der das Ansehen seiner Religionszugehörigkeit für rücksichtlose Geschäfte und Spekulationen im Frankfurter Immobiliengeschäft ausnutzt. Viele wollten darin seinerzeit Ignatz Bubis, heute Zentralratsvorsitzender der Deutschen Juden, erkannt haben. Das Stück löste einen Streit quer durch alle politischen und kulturellen Lager aus. Joachim Fest, Herausgeber der FAZ, bezichtigte Fassbinder damals des „Linksfaschismus“. Der Kritiker Marcel Reich-Ranicki fand das „Müll“-Stück einfach „abscheulich“. Zu den Befürwortern zählte Daniel Cohn-Bendit, der sich in einer Veranstaltung den Satz gefallen lassen mußte: „Ich schäme mich dafür, daß du ein Jude bist.“

Fassbinder wurde offener Antisemitismus vorgeworfen. „Er saugt uns aus, der Jud, trinkt unser Blut und setzt uns ins Unrecht. Wäre er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnte heute besser schlafen.“ Mit diesem Satz beschimpft in Fassbinders Stück ein ehemaliger Nazi die jüdische Hauptperson.

Rainer Werner Fassbinder sagte seinerzeit, er wäre nicht einmal auf den Gedanken gekommen, daß sein Stück antisemitisch sein könnte. Seine Versuche, das Stück zur Aufführung zu bringen, waren wiederholt gescheitert. Noch während seiner Intendanz am Frankfurter Theater am Turm (TAT) mußten 1975 Proben abgebrochen werden. Von der Öffentlichkeit beinahe unbemerkt, war der Stoff aber ein Jahr später von Daniel Schmid unter dem Titel „Schatten der Engel“ (mit Fassbinder in einer Nebenrolle) verfilmt worden. Eine bereits vorliegende Druckfassung des Stücks ließ der Suhrkamp Verlag wieder einstampfen. Auch nach Fassbinders Tod 1982 hörten die Querelen um das Stück nicht auf. Die für den 31. Oktober 1985 geplante Uraufführung am Schauspiel Frankfurt wurde durch eine Besetzung der Bühne verhindert, zu der verschiedene jüdische Organisationen aufgerufen hatten. Erst am 4. November 1985 kam es dann zu einer Premiere des Stücks vor Kritikern. Fassbinder hatte testamentarisch verfügt, daß das „Müll“-Stück in Frankfurt oder in New York uraufgeführt werden müsse. Bislang hat es Inszenierungen in Göteborg, Kopenhagen, Mailand und Neapel gegeben.

Bernd Wilms vom Gorki Theater hofft, daß er in den nächsten Tagen ein Gespräch mit Nachama führen kann. „Ich war davon ausgegangen, daß man Fassbinders Stück heute mit anderen Augen lesen könnte.“