Die Trommel für sich schreien lassen

Erstmals in Hamburg: Musiktherapie für sexuell mißbrauchte Kinder  ■ Von Heike Dierbach

Auf dem weißen, flauschigen Teppich steht ein Xylophon, daneben ein Korb mit Rasseln und Mundharmonikas. An der Wand hängt eine Gitarre. Durchs Fenster fällt der Blick auf mächtige Baumkronen. In den sonnendurchfluteten Räumen in der Altonaer Museumstraße scheint die Welt heil und in Ordnung. Hier werden die Therapeutinnen Gitta Strehlow und Sabine Mitzlaff mit Jungen und Mädchen arbeiten, deren Welt zusammengestürzt ist – in der bundesweit ersten Praxis für Musiktherapie mit sexuell mißbrauchten Kindern.

Eingerichtet und finanziert wurde die Praxis im Rahmen eines gleichnamigen dreijährigen Forschungsprojekts des Vereins Dunkelziffer in Zusammenarbeit mit dem Institut für Musiktherapie der Hochschule für Musik und Theater. Klaus Meyer-Anderson, Vorstand von Dunkelziffer e.V., erhofft sich von dem Projekt eine „neue Dimension“ in der Therapie von Mißbrauch. „Da die Täter überwiegend aus dem Nahbereich stammen, sind die Opfer zur Schweigsamkeit verurteilt“, erläutert er, „die Klage, der Jammer können keinen Ausdruck finden.“ Muß das Kind über Jahre hinweg alle Gefühle in sich verschließen, verselbständigt sich diese psychologische Dynamik.

Klagend, schreiend, unendlich traurig – so klingen die hohen Töne des Saitenpsalters, den Strehlow demonstriert. Die Standtrommel hingegen ist laut, wütet, protestiert. „Die Instrumente fordern auf, sich auszuprobieren“, erklärt die Therapeutin, „wenn wir das in den Alltag des Kindes übertragen können, ist ein großer Schritt getan.“ Musik berührt jene Persöhnlichkeitsschichten, die in den ersten zwei Lebensjahren, also vor dem Spracherwerb enstanden sind, erklärt Hans-Helmut Decker-Voigt, Professor für Musiktherapie und wissenschaftlicher Leiter des Projekts. Mit der Trommel, dem Xylophon oder dem Klavier kehrt das Kind in den Schutz des Präverbalen zurück, „es kann auf die eigenen Ressourcen von Spiel und Nähe zurückgreifen, die intakt geblieben sind.“

Dabei geht es weder darum, ein Instrument zu erlernen, noch, schöne Klänge zu produzieren, betont Gitta Strehlow. Das Kind sucht sich zu Beginn der Sitzung ein Instrument aus und sagt, welches die Therapeutin spielen soll. Es kann mit ihr zusammen oder ganz alleine spielen. „Auch das kann das Kind stärken“, erklärt die Therapeutin, „daß ihm jemand einfach aufmerksam zuhört, während es sich über die Musik ausdrückt.“

Hinterher sucht die Therapeutin das Gespräch mit der kleinen Patientin: „Wie hat dir die Musik gefallen? „Hat sie dich an etwas erinnert?“ Durch die musikalische Ebene gestärkt und ermutigt, kann das Kind wieder zum sprachlichen Ausdruck finden, erklärt Decker-Voigt. Er betont, daß die Musiktherapie keine Ergänzung zu anderen, sondern eine eigene Psychotherapie ist.

Die Krankenkassen in Hamburg sehen das ebenso, anders als in anderen Bundesländern zahlen sie für das heilende Musikmachen. Das Forschungsprojekt finanziert sich aus Spenden, unter anderem von Modeschöpfer Wolfgang Joop, Liedermacher Reinhard Mey und der Rockgruppe PUR. Für die Kinder sind die Stunden kostenlos.

Die Praxis bietet auch einige „Specials“, wie das Monochord-Bett, einen großen saitenbespannten Klangkörper, auf den sich das Kind legen kann. Bis sich ein kleiner Patient mit seinem ganzen Körper der Klangwolke des Monochords anvertraut, braucht es viel Zeit, weiß Strehlow, „aber dann kann das Erlebnis Mut geben für einen neuen Anfang.“