Großer Bruder überwacht Spielplatz

■ In einem Wohnquartier der GSW in Spandau wird ein Kinderspielplatz per Video überwacht. Empfang im Wohnzimmer

Die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft GSW spielt in einem Spandauer Viertel „Big brother is watching you“. Sie läßt seit Juli einen Kinderspielplatz im Wohnquartier Pulvermühle per Videokamera überwachen. Die Eltern können, sobald sie den Videokanal 69 des Kabelnetzes einschalten, ihre Kinder über eine an der Hauswand fest installierte Kamera beobachten. Die Bilder werden in 360 umliegende Haushalte übertragen.

Die GSW will mit diesem Pilotprojekt in Zusammenarbeit mit der Telekom, die das Projekt finanziert, den Bewohnern einen zusätzlichen Service bieten. Nach Angaben der Sprecherin der GSW, Beatrice Kindler, ist derzeit offen, ob das Projekt auf die anderen sechs Spielplätze in dem Quartier ausgeweitet wird. In einem halben Jahr soll eine Mieterversammlung Aufschluß über die Resonanz geben. Demnächst sollen Fragebögen verteilt werden. Die Überwachung sei „durchaus ausweitbar“, sagte Kindler.

Das im sozial geförderten Wohnungsbau errichtete Viertel ist so gebaut, das jeweils zwischen vier Wohnblöcken ein Spielplatz angelegt ist, der von den meisten Wohnungen aus zu sehen ist. An einem Baum an einem der Spielplätze hängt ein kleines Schild der GSW, das auf die Videoüberwachung hinweist: „Spielplatz ist videoüberwacht“ steht da. „Das Schild wurde erst auf unseren Hinweis hin angebracht“, kritisiert Claudia Schmid vom Büro des Datenschutzbeauftragten. Schmid beklagt zwar die zunehmende Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch Kameras, doch weil die Daten von dem Spielplatz nicht gespeichert werden, könne das Bundesdatenschutzgesetz nicht angewendet werden.

Viele Mieter im Quartier Pulvermühle jedoch reagieren positiv auf die Kamera. Yvonne Gerhardt, die mit ihren drei Kindern im Alter von 6, 8 und 12 Jahren im Erdgeschoß wenige Meter vom Spielplatz entfernt wohnt, schaltet „drei bis viermal pro Tag“ den Videokanal 69 ein. „Ich müßte sonst über die Terrasse raus“, sagt die 33jährige Mutter. Doch ganz zufrieden ist sie noch nicht. „Die Kamera müßte näher ran“, sagt sie. Sie könne die Kinder auf dem Bildschirm nur sehr klein wahrnehmen. Außerdem beklagt sie, daß sie die Kinder nicht hören kann. Zur Untermalung der Spielplatzbilder läuft Musik.

Auch ein 38jähriger Mieter findet die Videoüberwachung „sehr gut“. Selbst wenn einige Anwohner einen „Einschnitt in die Persönlichkeit“ befürchteten, habe die Sicherheit Priorität. Obwohl seine Tochter nicht bei ihm wohnt, begrüßt er den Kameraeinsatz: „Man hört so viel von Kindesentführung und hoher Kriminalität.“ Eine 70jährige Anwohnerin jedoch schimpft über die „unnützige Geldausgabe“. Die Eltern sollten sich statt dessen die Zeit nehmen und mit den Kindern auf den Spielplatz gehen.

Nach Angaben von Hartmut Vetter vom Berliner Mieterverein haben Wohnungsbaugesellschaften oftmals große Vermietungsprobleme, „wenn sie nicht zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen“ anbieten. Doch daß Spielplätze überwacht werden, findet der Chef des Mietervereins „überraschend“. Vetter warnt: Ein vermeintliches Sicherheitsgefühl könne das Unsicherheitsgefühl noch verstärken. Doch der Mieterverein halte sich aus der Diskussion heraus, „weil Mieter unterschiedliche Interessen“ haben, so Vetter.

Der Familientherapeut Peter Hutz vom Kinderschutzzentrum steht der Videoüberwachung sehr skeptisch gegenüber. Einerseits könnten einige Eltern zwar das Gefühl haben, ihre Kinder seien sicherer. Doch andererseits seien die Ängst oftmals unbegründet. „Die Chemie in Spielplätzen ist viel gefährlicher“, so Hutz. Außerdem müßten sich die Eltern im klaren sein, daß ihre Kinder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden und „keine Intimität mehr haben“. Zudem mache die Überwachung nur dann Sinn, wenn man ständig vor dem Fernseher sitze. „Ein Kind verschwindet in einer Minute oder wird in einer Minute erschlagen“, sagt der Therapeut. Es wäre viel besser, die Eltern seien bei den Kindern auf dem Spielplatz. Barbara Bollwahn