Amerikas Schulen suchen verzweifelt Lehrer

■ Weil die Wirtschaft brummt, locken hohe Gehälter viele Absolventen in die Wirtschaft. Die Schüler müssen mit Aushilfen vorliebnehmen, die weder ausgebildet noch geprüft sind

Washington (dpa) – In Amerikas problembeladenem Schulsystem sieht es düster aus. Ein eklatanter Lehrermangel hat dazu geführt, daß einzelne Schuldistrikte landesweit auf Lehrersuche gehen, Prämien bieten und sich gegenseitig die aussichtsreichsten Kandidaten abjagen. Schuld an der Misere ist der Höhenflug der amerikanischen Konjunktur, der so manchen fähigen Studienabgänger in die Wirtschaft lockt und nicht in die Schule.

Im Schuldistrikt der nordtexanischen Millionenstadt Dallas etwa waren eine Woche vor Beginn des neuen Schuljahres 244 der 9.600 Lehrerstellen nicht besetzt. Gesucht werden vor allem Fremdsprachen-, Mathematik- und Physiklehrer. Hunderttausende von texanischen Schulkindern werden auch in diesem Jahr wieder von „Substitutes“ unterrichtet, von Aushilfen, die für das entsprechende Fach weder ausgebildet noch geprüft sind. Im vergangenen Schuljahr konnten nach offiziellen Angaben mehr als 10.000 der 250.000 Lehrerstellen im Bundesstaat Texas nicht angemessen oder gar nicht besetzt werden.

„Nur etwa 70 Prozent aller Studenten, die eine Lehramtsprüfung ablegen, gehen tatsächlich in die Schule“, klagt James Hughey, der Superintendent der Schulen von Dallas. Erst vor kurzem haben die Schuldistrikte von Dallas und Fort Worth die Bezahlung für Lehrer auf ein Jahres-Anfangsgehalt von umgerechnet rund 54.000 Mark angehoben. Dennoch kann ein Studienabgänger mit einem naturwissenschaftlichem Examen in der Industrie leicht das Doppelte verdienen.

Der Lehrermangel herrscht nicht nur in Texas – er hat die meisten Bundesstaaten erfaßt. Der große Mangel wird wohl erst dann abnehmen, wenn die Wirtschaft ihren Höhenflug beendet. Oder wenn sich die USA entschließen, den Lehrerberuf endlich attraktiv und zu dem zu machen, was er in anderen Industriestaaten doch bereits seit langem ist: einen in der Gesellschaft angesehenen Beruf mit gutem Gehalt und Rente, der in funktionierenden, gut ausgestatteten und sicheren Schulen ausgeübt wird. Jörg-Michael Dettmer