Von Gottesdienst und Kürbishandel

■ Sie vermitteln Paradoxien einer scheinbar autarken Gesellschaft: Doch einer Dokumentation über die religiöse Gemeinschaft der Amish in USA reichen beschauliche Bilder (20.15 Uhr, 3sat)

Die Selbstmordrate sei extrem hoch. Viele stünden unter Psychopharmaka, wegen der Depressionen. Sie litten unter einer Degeneration des Muskelgewebes, die sie langsam verkrüppeln ließe. Häufig trete aufgrund von Inzucht eine Genmutation auf, die sich in einer Kombination aus Zwergenwuchs und Herzfehler äußere. Manche hätten gar sechs oder sieben Zehen, sagt der „Familienarzt“. Und: „Sie putzen sich nicht die Zähne.“

Derart schauerliche Abgründe hätte man nun wirklich nicht vermutet hinter der schlichten Fassade der Amish, jener spätestens seit dem Hollywoodfilm „Der einzige Zeuge“ auch touristisch erschlossenen religiösen Gemeinschaft in den USA, die heute noch lebt wie vor hundert Jahren. Die „Explosiv“-taugliche Horrorlitanei zum angeblich allgemeinen Gesundheitszustand der Pennsylvania Dutch dürfte wohl ein Ausrutscher gewesen sein. Des weiteren bietet Eva-Maria Bergers Dokumentation aber auch nicht sehr viel mehr: „Unterwegs zum Gottesdienst“- und „Kürbisverkauf auf dem Wochenmarkt“-Impressionen, Männer mit langen Bärten und Hüten, Frauen in langen Kleidern und Hauben, dahinziehende Pferdekutschen und Getreidesilos im Morgendunst. Gewissenhaft werden Aspekte dieses bäuerlichen und elektrizitätsfreien (aber dieselmotorbejahenden) Daseins abgeklappert, und das mag seine Zeit brauchen.

Doch gar viel davon nimmt ein Soziologieprofessor zum Dozieren in Anspruch, und gar wenig wird den Schlupflöchern zwischen Dogma und Wirklichkeit gewidmet, die Außenstehenden die fremde Glaubenslehre erst begreiflich machen könnten – etwa wie die Bilder der jungen „Amishe“, die auf Rollerblades über den Asphalt zischen, da Autos und (teilweise) Fahrräder tabu sind. Gern würde man mehr über die Paradoxien dieser scheinbar autarken Gesellschaft mitten im Amerika des 21. Jahrhunderts erfahren. Aber Hintergründe sät der Beitrag nur protestantisch-spärlich. Die vielen übereilten Bildschnitte stiften hingegen eher kriminalistische Verwirrung: Wer ist der zynische Rapper, der nestbeschmutzerisch das Leben im „Amish Paradise“ schildert? Dröhnen diese Melodien aus den kutschenintegrierten Ghettoblastern der noch ungetauften Amish- Teenies, die vor der Aufnahme in die Gemeinschaft erst noch „wilde Jahre“ durchleben? Und: Welche Rolle spielt das Monopoly-Brett?

Drum muß man sich an erbaulichen Formulierungen wie der nachfolgenden ergötzen: „Die idyllischen Pferdewagen blockieren manchmal den Verkehr, tragen aber zum Flair der Gegend bei.“ Monie Schmalz