Selbstbewußt auf Nato- und EU-Kurs

Ungarns konservative Regierung setzt neue Akzente in der Außenpolitik. Sowohl bei der Westintegration als auch im Verhältnis zu den Nachbarn will Premier Orban die nationalen Interessen besser vertreten  ■ Aus Budapest Keno Verseck

Als Ungarns neuer Regierungschef Viktor Orban kurz nach seinem Amtsantritt Anfang Juli zu seinem ersten offiziellen Besuch nach Brüssel reiste, schlug den EU- und Nato-Offiziellen ein neues Selbstbewußtsein entgegen. Dem EU-Kommissionspräsidenten Jacques Santer sagte Orban, Ungarn müsse sich nicht erst in ein gemeinsames Europa integrieren, sondern gehöre bereits durch seine Geschichte, Tradition und Kultur zu Europa. Ungarns EU-Beitritt werde als selbstverständlich betrachtet, der Rest seien institutionelle Fragen.

Auch Nato-Generalsekretär Javier Solana bekam selbstbewußte Forderungen zu hören: Ungarn rechne damit, im nächsten Jahr Nato-Vollmitglied zu sein, sagte Orban. Eine schnelle zweite Runde der Osterweiterung empfahl er als „beste Stabilitätspolitik“ für Mittel- und Südosteuropa.

Seit Orbans Antrittsbesuch in Brüssel sind die neuen Akzente in der ungarischen Außenpolitik unüberhörbar. Die konservative Budapester Koalitionsregierung, die der national-konservative „Bund Junger Demokraten – Ungarische Bürgerpartei“ (Fidesz-MPP) dominiert, will sich vor allem in zwei Fragen deutlich von ihren sozialistisch-liberalen Vorgängern abheben: bei der europäischen und euroatlantischen Integration und beim Verhältnis zu Ungarns Nachbarländern, in denen große ungarische Minderheiten leben.

Bei den Verhandlungen um die EU-Aufnahme will Ungarn eine deutlich härtere Position einnehmen. Diese bezeichnete Orban bei seinem Besuch in Brüssel sowie bei offiziellen Besuchen in Österreich und in Frankreich Mitte Juli als „bessere Vertretung nationaler Interessen“. So etwa wehrt sich Ungarn dagegen, Pufferzone der EU gegen illegale Emigranten zu sein. Nach ungarischen Vorstellungen kommt eine Einführung des Visumszwanges für Staatsbürger aus Ungarns Nachbarländern mit Rücksicht auf deren ungarische Minderheiten nicht in Frage.

Die Möglichkeit, daß ausländische Staatsbürger in Ungarn Grund und Boden erwerben können, kommt, anders als es die sozialistisch-liberale Regierung vorsah, wahrscheinlich doch nicht in Frage. Außerdem wünscht Ungarn, daß bereits bei Beginn seiner EU-Mitgliedschaft alle Restriktionen zur freien Wahl des Arbeitsplatzes wegfallen, während die EU in den ersten Jahren Beschränkungen aufrechterhalten will.

Auch über den Zeitpunkt des EU-Beitrittes herrschen in der neuen Regierung klarere Vorstellungen: „Wenn Ungarn im Jahre 2002 nicht EU-Mitglied sein wird, liegen die Gründe dafür nicht bei uns“, sagte Außenminister Janos Martonyi im ungarischen Fernsehen und äußerte die Befürchtung, daß EU-interne Reformen Ungarns Beitritt verzögern könnten.

Eine „bessere Vertretung nationaler Interessen“ praktiziert Ungarn bereits auch gegenüber der Nato. So etwa wird Ungarn angesichts des knappen Staatshaushaltes vorerst keine neuen Kampfflugzeuge anschaffen, sondern die auf Nato-Standards umgerüsteten sowjetischen Flugzeuge vom Typ MIG-29 weiter benutzen. Eine Beteiligung an einer möglichen Nato- Mission im Kosovo lehnte Ungarn Ende Juli mit Rücksicht auf die ungarische Minderheit in der serbischen Vojvodina ab. Zugleich bat das ungarische Außenministerium die serbische Regierung Anfang August, keine ungarischen Rekruten in den Kosovo zu schicken.

Wie im Falle der ungarischen Minderheit in der Vojvodina praktiziert die Budapester Regierung auch gegenüber den ungarischen Minderheiten in der Slowakei und Rumänien eine weitaus paternalistischere Linie als die bisherige sozialistisch-liberale Regierung. Die Forderung nach „neuen und besseren Grundlagenverträgen“ mit den Nachbarn, wie sie noch im Fidesz- Programm zu lesen war, hat Ungarns Regierung zwar stillschweigend fallengelassen. Doch vor allem für die Ungarn in der Slowakei und Rumänien forderte das ungarische Außenministerium bisher bereits mehrfach und ganz undiplomatisch bessere muttersprachliche Bildungsmöglichkeiten.

Anders als Ungarns Ex-Ministerpräsident Gyula Horn wird sich der neue ungarische Regierungschef außerdem regelmäßig mit führenden ungarischen Politikern aus der Slowakei, Serbien und Rumänien treffen und abstimmen. Das kündigte Orban bei seinem ersten Treffen dieser Art vor zehn Tagen an. Die Motivation für diese neue Politik hat er seit seinem Amtsantritt bereits mehrfach wiederholt: „Ungarns Staatsgrenzen sind andere als die der ungarischen Nation.“