"Kohls Verhältnis zu Schäuble ist kaputt"

■ Der Kanzler-Biograph Klaus Dreher über den angeschlagenen Helmut Kohl, den Machtkampf in der CDU und die veränderte Strategie der Union für die letzten vier Wochen des Wahlkampfes: Die Rußland-Kri

taz: Erleben wir gerade die Demontage Helmut Kohls durch seine eigene Partei?

Klaus Dreher: Ja. Die CDU ist mit Kohl unzufrieden. Die Partei ist nicht mehr überzeugt davon, mit ihm die Wahlen gewinnen zu können. Aber Kohl gibt nicht klein bei. Er versuchte am Montag im CDU-Vorstand, das Blatt erneut zu seinen Gunsten zu wenden und verlangte das Ende der Diskussionen über seine Nachfolge.

Aber die Punkt-Aus-Feierabend-Machtworte des Kanzlers, das haben die letzten Wochen gezeigt, bewirken doch nichts mehr.

Ich kenne diese Diskussionen in der CDU jetzt seit dreißig Jahren. Die Partei hat sich immer bis kurz vor dem Wahltermin gestritten. Das ist ihr, wenn sie stark war, auch gut bekommen.

Die Union zerstritten, der Kanzler verliert an Ansehen, und Schröder ist nicht zu packen – wie will sich Kohl aus dieser deprimierenden Situation noch befreien?

Er entwickelt für die letzten vier Wochen ein ganz neues Wahlkampfthema: die Krise in Rußland. Sie soll den Kanzler retten. Er wird sich jetzt als großer Krisenmanager präsentieren, als Politiker, auf dessen Rat Leute wie Clinton und Jelzin hören. Die Union will Kohl als einen Stabilitätsanker in einer sich stürmisch verändernden Welt verkaufen.

Glauben Sie, daß dieses Konzept aufgeht?

Ich bin ganz entschieden der Meinung, daß der Ausgang der Wahl nach wie vor offen ist. Kohl kann bei der weitverbreiteten Russen-Angst der Deutschen das Steuer noch einmal herumreißen – auch wenn mir die Art, in der er die Rußland-Krise jetzt instrumentalisiert, als fies erscheint.

Und diese „Russen-Angst“ soll stärker sein als der Wunsch, nach 16 Jahren Kohl endlich einen anderen Kanzler zu wählen?

Dieser Wunsch nach einem Wechsel wird gegenüber dem Wunsch nach Stabilität zurücktreten. Ein gut Teil der Wähler hat große Angst davor, daß die Finanzkrise, die ja auch die Gefahr eines Bürgerkrieges in Rußland in sich birgt, vom Osten zu uns herüberschwappt. Ich kann mir vorstellen, daß das bei der Wahl den Ausschlag zugunsten der Union gibt.

Zurück zum Streit in der Union. War die Interviewäußerung von Wolfgang Schäuble in der vorigen Woche ein klares Signal an Kohl, noch vor dem 27. September zu sagen, wann der Kronprinz Schäuble Kanzler wird?

Das kann ich nicht beurteilen. Aber wenn es als Signal gedacht war, dann wird es ungehört verhallen. Kohl denkt überhaupt nicht daran, sich zurückzuziehen. Er wird vor der Bundestagswahl nie und nimmer einen Zeitplan für eine Übergabe an Schäuble nennen. Das widerspricht einfach seinem Charakter.

Man hat den Eindruck, Kohl empfindet es als Unverschämtheit, daß ihm überhaupt jemand als Bundeskanzler nachfolgt.

Kohl hält sich für unersetzlich. Er hat in seiner Kanzlerschaft mehrmals mit dem Gedanken gespielt, sich zurückzuziehen – er hat es nicht ein einziges Mal wahr gemacht. In diesem Punkt ähnelt er Adenauer, und wie dieser hat Kohl den richtigen Absprung verpaßt. Das wäre 1991 gewesen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kohl seinen Platz in der Geschichte gefunden. Damals kam ihm das Attentat auf Schäuble dazwischen. Der Kanzler findet immer neue Gründe, nicht zurückzutreten. Ich fürchte, wenn er die Wahlen wieder gewinnt, werden wir ihn noch lange ertragen müssen. Ich glaube ihm nicht einmal seine Ankündigung, im Falle einer Niederlage als CDU- Vorsitzender zurückzutreten.

Für die Zukunft der Union ist Schäuble die entscheidende Figur. Wie würden Sie das Verhältnis des Kanzlers zu seinem Kronprinzen beschreiben? Ist es Freundschaft, Loyalität oder noch weniger?

Mittlerweile ist es eine erbitterte Rivalität zwischen den beiden. Schäuble will es jetzt wissen. Er will aus eigener Kraft Kanzler werden und nicht einer von Kohls Gnaden. Kohl wehrt sich erbittert gegen die Versuche seines von ihm bestellten „Kronprinzen“, ihn aus dem Amt zu drängen. Dazu ist ihm jedes Mittel recht, er ist ein skrupelloser Wahlkämpfer. Das Verhältnis zwischen Kohl und Schäuble ist ziemlich kaputt.

Würden die Chancen der Union steigen, wenn die Wähler vor der Wahl wüßten, wann Schäuble das Ruder übernimmt – einen Sieg von CDU und CSU vorausgesetzt?

Nein. Ich bin anderer Meinung als viele Kollegen: Wenn irgend jemand aus der Union es überhaupt reißen kann, dann nur Kohl. Er ist im Bewußtsein der großen Masse der Leute eine mythische Figur, ein Denkmal. Die Deutschen sind eigentlich zu anständig, einen Mann, der sich solche Verdienste erworben hat, einfach abzuwählen. Interview: Jens König