■ Querspalte: Auf daß die Späne fliegen!
Was ritzten Sie in ihre Schulbank? Meine Klassenkameraden bevorzugten anonyme Liebeserklärungen an unsere Klassenschönheit („xyz loves Steffi“) und politische Parolen („Amis raus aus USA!“). Das Schönste am Ritzen ist die Empörung! Auf meinem Platz etwa stand sage und schreibe vierzehnmal der Name der Heavy-Metal-Kapelle AC/DC. Eine unserer Lehrerinnen hatte sich zu ihrem langen Doppelnamen noch eine weitere Bürde aufgehalst: einen empörten Feldzug gegen „Gewalterherrlichung, Satanismus und Frauenverachtung in der Rockmusik, speziell bei AC/CD“. Und weil nichts schöner ist, als Moralisten auf die Palme zu bringen, wurde natürlich geritzt, daß die Späne flogen.
Schwer empört ist zur Zeit Dietmar Volk. Der grüne Politiker ist keine Lehrerin mit Doppelnamen, aber im Berliner Abgeordnetenhaus zuständig für Schule und Kirche. „Schindluder wird hier getrieben“, schimpft Volk und zeigt auf die neue Turnhalle der Fritz-Reuter-Schule im Ostbezirk Hohensschönhausen. Hat ein pubertierender Rowdy „AC/DC“ in meterhohen Lettern in die Turnhallenwand gefräst? Schlimmer: An der Schule prangt ein Kreuz! Ein unerträglicher Zustand, wissen wir doch mittlerweile, daß Kruzifixe die Psyche bayerischer Schüler deformieren und Lehrerinnen, deren Haare man nicht ohne Kopftuch sehen kann, harmlose deutsche Kinder in kleine Ajatollahs verwandelt. Und da hat es eine Bauleiterin „aus dem Schwäbischen“ gewagt, beim Neubau der Turnhalle zwei Regenrinnen so anzuordnen, daß sie dem christlichen Symbol ähneln. Die „stramme Katholikin“, empört man sich in grünen Empörtenkreisen, habe den „ungläubigen Ostdeutschen im gottverlassenen Hohenschönhausen“ eins auswischen wollen.
Der Feldzug für eine freisinnige Turnhalle läuft: Das Kreuz aus Regenrinnen muß weg! Denn der wahre Freigeist wird zur Not auch naß. Ahnen Sie auch, welches Symbol die Schüler der Fritz-Reuter-Schule bald in ihre Bänke ritzen werden? Robin Alexander
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen