Weiblicher Wein

Wenige Männer, viele Frauen, ein Tigerstreifenbaby. Eine Rudolf-Thomé-Retrospektive im Arsenal  ■ Von Andreas Becker

Zur Arbeit, ihr müßt zur Arbeit?“ Marquard Bohm in „Rote Sonne“ faßt es nicht – jetzt wollen die Frauen auch noch arbeiten. „Was tust du überhaupt hier, niemand hat dich gebeten hierzubleiben“, sagt Uschi Obermaier zu Bohm. Sie sitzt auf der Bettkante. Wird sie ihn jetzt verführen? Hochdramatische Geigenmusik setzt ein. Bohm wird in dieser Geschichte nur noch selten allein sein. Gleich mehrere Mädchen erkennen, daß dieser Mann viel Zuwendung braucht.

Rudolf Thomé, Regisseur, drehte „Rote Sonne“ 1969. Und wahrscheinlich sind die Thoméschen Essentials hier schon alle vorhanden. Es geht immer um einen einzelnen Mann, der tapsig durch die Gegend stapft, meist ein paar Millimeter über dem Boden schwebend. Thomés Männer sind Traumtänzer, die ohne das weibliche Element heillos verloren sind in der Welt. Deshalb brauchen sie bedingungslose Liebe. Doch die Frauen verfallen einem solchen Mann nicht, sie wählen ihn bei Thomé bewußt aus. In „Der Philosoph“ eröffnen „seine“ drei Frauen extra ein Modegeschäft, weil sie wissen, das „ihr Mann“ irgendwann einen Anzug brauchen wird. „Ihr habt mich also in eine Falle gelockt? Tja ... wir werden den Laden jedenfalls schließen, wir brauchen ihn nicht mehr.“ Diese Männer begreifen ihr Glück natürlich gar nicht, die Frauen müssen ihre Love-Traps aufstellen, aber natürlich nicht, um sich zu bereichern oder den Mann auszubeuten. Nein, nur um ihm Liebe zu schenken, morgens Kaffee ans Bett zu bringen, bei Fieber Wadenwickel zu machen. Die letzte große Utopie! Einige halten das wohl für Machoträume, doch die haben Thomé nicht verstanden.

Denn daß diese Frauen keine Dummchen sind, versteht sich von selbst. Für einige muß man es aber immer dazusagen. Superselbstbewußt, in sich ruhend, anmutig statt sexy sind sie. Kein vernünftiger Mann kann ihnen widerstehen. Ganz vorsichtig behandeln sie das rohe Ei Mann, ganz vorsichtig wollen sie ihm zu ihrem und seinem Glück verhelfen. „Der Philosoph“ zieht bei drei Frauen ein – immer wohnen die Männer, wie auch im neuen „Tigerstreifenbaby“, mit mehreren Frauen zusammen –, und eine der Frauen besorgt ihm einen Computer. Sie erklärt ihm, wie einfach man damit schreiben kann. Der Philosoph beginnt zu schreiben, kann aber nicht, solange „Sie“ hinter ihm steht. Willst du mich verführen? fragt er.

Die Frauen sind keine Musen mehr, sie nehmen Männerrollen ein. Alles wird weiblich. Das ist kein bißchen ironisch gemeint bei Thomé. Sein Feminisierungsprojekt geht so weit, daß der Wein, den die Frauen für den Philosophen kaufen, vom Händler als weiblich im Bouquet charakterisiert wird. Sogar die Landschaft ist weiblich. Ja, wenn man ganz genau hinschaut, sind auch Thomés Autos, mit denen die Frauen am Steuer mit den Männern zum See fahren, weiblich. Haben runde Formen wie der Käfer in „Rote Sonne“ oder sind kugelig wie der Peugeot 205 in „Der Philosoph“. Phalluswagen gibt's nur für absolute Machos, wie einen Ford Mustang in „Rote Sonne“, und dessen Fahrer wird nach dem Sex von den Drohnen-Frauen natürlich getötet.

Und Orte, die in der Realität häßliche Hundestrände sind, werden bei Thomé zum Platz der ersten Liebe. In einer WDR-Dokumentation über die Dreharbeiten zu den aktuellen Thomé-Filmen „Tigerstreifenbaby“ und „Just Married“ versucht das Team eine Sexszene am Strand zu drehen. Herbert Fritsch weiß nicht, wie er das machen soll, wie man das spielen soll. Ihr könnt das doch so machen, daß sie auf dir drauf sitzt, sagt Thomé und deutet an, daß sie „es“ so nicht unbedingt machen müssen, es aber schon echt aussehen sollte. Man spürt die Unsicherheit von Fritsch und seiner Partnerin. Werden sie gleich zusammen schlafen, oder werden sie nur so tun? So schafft Thomé Spannung zwischen den Schauspielern, die sich als eine Art Hyperrealismus in den Filmen manifestiert. An diesen Figuren kommen wir als Zuschauer nicht so einfach vorbei, die haben zu viel von uns selbst.

Die Filme von Rudolf Thomé sind vom 2.9. bis zum 25.9. im Arsenal in der Welserstr. 25 zu sehen