Windungen und Wendungen

■ Außerordentlich produktiver Umgang mit Klassikern: Robert Gernhardts "Klappaltar" widmet sich Heine, Brecht und Goethe mit dem nötigen Respekt und Lust an der Überbietung

Daß er fremde Stile parodieren kann, hat Robert Gernhardt immer mal wieder kunst- und spaßbereit unter Beweis gestellt. Aus dieser Gabe ist jetzt aus Anlaß von drei Dichterjubiläen ein eigenständiger Band geworden. Es geht um Heine (1997), Brecht (1998) und Goethe (1999), wobei die Brecht- Hommage in Prosa als Scharnier eines Klappaltars dessen Flügel aus der Arbeit an den beiden älteren Groß-Lyrikern verbindet. Vielleicht ist die Parodie als Form des uneigentlichen literarischen Redens immer die Einheit von Ehrfurcht und mehr oder minder stark dosiertem Spott. Wer parodiert, zollt seinem Gegenstand schon durch das Interesse an ihm Respekt, inszeniert aber zugleich so etwas wie einen Überbietungsgestus, denn es wäre wenig produktiv, nur ununterscheidbare Stilkopien anzufertigen.

In früheren heroischen Nonsens-Zeiten der „Neuen Frankfurter Schule“ wurde häufig die Banalität von Presseerzeugnissen und schlechter Literatur parodiert. Bei großer Literatur kann, jedenfalls wenn der Parodist aufs Ganze geht, nur die spezifische ästhetische Qualität von Texten Gegenstand der Parodie sein, und das macht die Aufgabe dann erheblich anspruchsvoller. Gernhardt vermeidet es in diesen Texten, auf Gags loszusteuern, sondern nähert sich teilweise asymptotisch seinen Gegenständen, ohne sie doch zu verdoppeln. Die Präzision bei der Übernahme des Sprachrhythmus der parodierten Autoren scheint den Textsinn dabei fast schon bewußtlos hervorzutreiben. Wahrscheinlich ist der literarische Selbstversuch mit Heine der schwierigste, weil der selbst ein mit Klischees spielender Ironiker ist.

Gernhardt führt vor, daß er die formale Spannbreite von Heines Lyrik ebenfalls beherrscht, und wahrt bei aller spürbaren Bewunderung Abstand etwa durch witzige Kritik am „Buch der Lieder“ in genau dessen Stil. Großen Raum nehmen, biographisch angereichert, eigene Leseerfahrungen, aber auch die Auseinandersetzung mit Heine-Klischees ein. Im Goethe-Abschnitt verzichtet Gernhardt auf formale Vielfalt zugunsten eines breiteren inhaltlichen Spektrums. Er bezieht sich auf Goethes Altersstil mit einer durch die Zeilensprünge noch betonten eigentümlichen Syntax und merkwürdigen Substantivierungen. Dabei widmet er sich wahrhaft klassischen Themenkomplexen, etwa Natureindrücken oder der Reflexion über das Schöne. Genauso sentenzenhaltig kann er sein wie Goethe selbst und genauso heiter-abgeklärt. Bemerkenswert auch, wie organisch sich dabei neues Vokabular und neues gedankliches Material in alte Gedichtformen einschmelzen lassen.

Mit dem Prosa-Scharnier, „O-Mei. Buch der Windungen“ setzt Gernhardt einen etwas gröberen Keil auf Brechts „Me-ti – Buch der Wendungen“ – mit seiner dialektisch gemeinten, aber knochentrocken-didaktischen Besserwisserei im Gewand der chinesischen Weisheit vielleicht derjenige Brecht-Text, der sich für eine spöttische Parodie am besten eignet. Was bei Brecht autoritär als allgemeinverbindlich daherkommt, wird bei Gernhardt mit Unheroisch-Privatem konterkariert, das sich mit kritischer gesellschaftlicher Relevanz drapiert: so ist es nach Ge-gas (Gernhardt) typisch brechtisch-listiger Argumentation nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu geboten, Literaturpreise anzunehmen, weil man dem korrupten Betrieb, dem man sich nach He-hei (Henscheid) verweigern soll, dadurch Mittel entzieht. In „O-Mei“ werden einerseits Kins (Brechts) Gedichte verbessert, andererseits wird aber auch wohlfeile Kritik an diesem, etwa als Ausbeuter von Frauen, auf charmant-politisch unkorrekte Weise ironisiert. Parodie als vielschichtig-komplexes literarisches Verfahren – an diesem „Klappaltar“ kann man es studieren. Hans-Martin Kruckis

Robert Gernhardt: „Klappaltar. Drei Hommagen“. Haffmans Verlag, Zürich 1998, 95 Seiten, 29,80 DM.