What's hot, what's not
: Kriegsspiele

■ Steven Spielberg und die Kosten des Realismus: Geschmack in und um Hollywood herum

Die Sache beginnt mit einem fünfundzwanzigminütigen Abschlachten. D-Day. Ein Boots- Verdeck öffnet sich für die amerikanischen Soldaten beim Anlanden in der Normandie; von oben halten die Deutschen mit dem Tod drauf. MG-Feuer.

„Saving Private Ryan“, Steven Spielbergs neuester Film, erzählt, wie eine ganze Kompanie bei dem Versuch zugrunde geht, einen einzigen Soldaten – Private Ryan – aus dem Hinterland zu retten. Spielberg wollte in „Saving Private Ryan“ vor allem „realistisch sein“. Moralfragen nach der Rechtfertigung von Massensterben stellen sich bei Kriegsspielen erst einmal, und das ist tatsächlich realistisch, nur theoretisch. Um die Empathie seitens der Zuschauer zu steigern, wurden die Kampfszenen aus der Soldatenperspektive gefilmt. Wackelnde Handkameras suggieren die Bewegungen von Männern, die sich immer wieder vor dem Kugelhagel ducken.

Im Kino ist aller Realismus immer noch etwas künstlich Hergestelltes. So kam Spielberg nicht ohne Hilfe aus. Der Verzicht auf bildliche Kontinuität in der Eingangssequenz geht auf das Konto des Kameramanns Janusz Kaminski. (Letzterer bekam für seine Arbeit in „Schindlers Liste“ einen Oscar.)

Für „Saving Private Ryan“ wollte der achtunddreißigjährige Kaminski filmen „wie ein Kriegsberichterstatter“. Janusz Kaminskis Vorbilder waren die D-Day- Aufnahmen des amerikanischen Fotografen Robert Capa, „weil sie einem das Gefühl vermitteln, die auf ihnen abgebildeten Menschen seien schon tot“, obwohl sie es tatsächlich zum Zeitpunkt der Aufnahmen noch nicht waren. Nur elf von Capas D-Day-Fotos überlebten die Zeit (und einen Unglücksfall in der Dunkelkammer). Auf ihnen und auf der Projektion von Nachgeborenen- Wissen gründet sich die optische Architektur von „Saving Private Ryan“.

Ursprünglich wollte Spielberg seinen neuen Film ganz in Schwarzweiß drehen. Er gab diese Idee jedoch auf, weil das ungeheuer viele Blut sonst nicht genügend zur Geltung gekommen wäre. Statt dessen wurden die verwendeten Technicolor-Farben moderat gebleicht. Der Anteil des Sound-Designers Gary Rydstrom, der bereits das Brüllen der Saurier in „Jurassic Park“ und die Wasserkorridore von „Titanic“ verantwortete, wird, was „Saving Private Ryan“ angeht, prominent diskutiert. In einem mit Dolby-Digital ausgerüsteten Kino kreischen dem Kinobesucher die Geschosse um den Kopf, schlagen sie hinter und neben ihm ein.

Die Handlung, so Rydstrom, sollte keinesfalls feststehend und in sicherer Entfernung vom Zuschauer ablaufen, er solle sich vielmehr in ihr befinden. Einmal gibt es im Film neunzig Sekunden Stille – das ist, als eine Granate unmittelbar neben dem Hauptdarsteller Tom Hanks explodiert. Die Illusion des Realismus ist perfekt: Als Zuschauer glaubt man sich selbst taub.

Um das Einschlagen von Kugeln in menschliche Körper nachzuempfinden, schoß man beim Drehen in Tierkadaver. Realismus kostet Geld. „Saving Private Ryan“ schlägt mit 65 Millionen Dollar zu Buche, verglichen mit den 200 Millionen, die „Titanic“ verschlang, eine immer noch bescheidene Summe. Der Realismus indes ist Steven Spielberg so gut gelungen, daß das Kriegsministerium der USA eine von Psychologen betreute Hotline einrichtete, nachdem bekannt wurde, daß viele Weltkriegsveteranen während des Kinobesuchs ihre Traumata auf schreckliche Weise neu durchlebten und ins Koma fielen. Warum das alles? Wohl weniger, um zu wissen, wie es damals war, sondern um sich vorzustellen, daß es schlimmer werden wird. Anke Westphal

Mit „Saving Private Ryan“ werden heute die Filmfestspiele von Venedig eröffnet.