Barbie, Tante Emma und eine stotternde Ladendiebin

■ Zwei gefestigte Tennis-Persönlichkeiten wissen, wo's lang geht, eine andere bleibt zurück: New Yorker Impressionen von Anna Kournikova, Lindsay Davenport und Jennifer Capriati

New York (taz) – Der Amerikaner ist ein guter Mensch, und deshalb hat er sich auch herzlich gefreut für Jennifer Capriati aus Florida, das Sorgenkind des internationalen Tennissports, daß sie halbwegs mithalten konnte in ihrem Erstrundenspiel bei den US Open gegen Wimbledon-Siegerin Jana Novotna. Und sie mit warmem Applaus aus New York verabschiedet, als sie 4:6, 3:6 verloren hatte. Das war schön für Capriati, hat aber nicht den Eindruck verwischt, daß sie schon im zarten Alter von 22 Jahren eine gescheiterte Figur ist.

Als größtes Talent aller Zeiten galt sie einst, stand mit 14 im Grand-Slam-Halbfinale von Paris und machte mit 16 ihre erste Dollar-Million an Preisgeld voll. Doch dann nahm sie Drogen und wurde eine Ladendiebin. Jetzt sagt man, sie habe ihr Leben wieder in geregelte Bahnen gebracht, aber neben den strahlenden Stars wirkt sie immer noch wie eine düstere Nummer. Auf dem Feld leistet sie sich zu viele Patzer und außerhalb hat sie Probleme, sich zu artikulieren.

Nach ihrer Niederlage hing sie schlaff über dem Tisch im Presseraum und stotterte mit schwerer Zunge: „Eigentlich, ich mein, ist Tennis nur, es ist Spaß, ich mein, es war immer irgendwie Spaß, wissens, ich mein, es ist, ja, außer irgendwie, wissens, als ich nicht gespielt habe, natürlich.“

So eine hat es schwer, sich durchzusetzen im Frauentennis, in dem schlagstarke Mädchen mit jeder Menge Selbstbewußtsein das Tempo bestimmen. Der Maßstab sind Fräuleins wie Anna Kournikova (Rußland) oder Lindsay Davenport (USA), die in der ersten Runde vorführten, wie man gewinnt – Kournikova gegen die Französin Lea Ghirardi (6:1, 6:3), Davenport gegen die Rumänin Catalina Cristea (6:0, 6:2). Beide zählen zu den Favoritinnen bei den US Open. Beide spielen druckvolles Tennis mit mächtigen Grundschlägen, beide können den Ball nicht nur mit der Vorhand bedrohlich beschleunigen, sondern auch mit der Rückhand, die sie beidhändig führen. Vor allem aber: Beide sind gefestigte Persönlichkeiten, die geradlinig ihren Weg gehen.

Wobei die Öffentlichkeit sich vor allem für die frühreife Kournikova (17) interessiert. Denn die gibt sich gerne als Barbie-Doll des Rückschlagsports mit tailliertem Röckchen und sorgfältig geschminkten Lippen. Als nach ihrem Erfolg über Ghirardi angekündigt wurde, sie komme in den Presseraum, machten sich gleich 20 Fotografen auf den Weg. Beim Interview ließen die dann ihre Blitzlichter so wild klicken, daß Kournikova die Fragen teilweise nicht verstehen konnte. Da ist klar, daß sie keine Selbstzweifel plagen, zumal sie genau weiß, was man vor den Medien wie wann zu machen hat. Kühl berichtet sie, daß sie sich voll auf Tennis konzentriere und nur von Spiel zu Spiel denke.

Das überzeugt, und da macht es auch nichts, daß ihr zur aktuell miserablen Wirtschaftslage in ihrer Heimat nur einfällt, „daß das, was das Fernsehen zeigt, ein bißchen übertrieben ist“. Dann lächelt sie noch mal routiniert, ehe ihre Gesichtszüge gefrieren und sie aus dem Raum stolziert.

Davenport steht weit weniger unter Beobachtung. Sie sieht eben der freundlichen Tante Emma aus dem Gemischtwarenladen ein bißchen zu ähnlich mit ihrem runden Gesicht und den etwas schlampig zurückgesteckten Haaren. Vor einiger Zeit haben Experten sie sogar belächelt und sie als Beispiel genommen für mangelnde Athletik im Frauentennis, weil sie damals noch etwas voller um die Hüften war. Mittlerweile hat sie abgespeckt und sich auf den zweiten Platz der Weltrangliste geschlichen. In der Szene spricht man voller Respekt über sie, für viele ist sie die erste Anwärterin auf den US-Open-Sieg. „Lindsay ist gefährlich“, sagt die Weltranglisten- Erste Martina Hingis, „sie kann den Ball aus jedem Winkel so hart schlagen.“

Und Davenport selbst? Die wirkt stets geistreich und nie aufgesetzt und bittet lachend um Entschuldigung, daß sie keine Prognose wagen möchte. Immerhin verrät sie, daß sie letzthin aus einigen Siegen viel Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gewonnen hat. Und das hört sich so an, als könne sie sich durchaus vorstellen, die US Open zu gewinnen. „Auf diesem Niveau“, hat Davenport festgestellt, „spielt Selbstvertrauen die gleiche Rolle wie das spielerische Können.“ Thomas Hahn