Rußland erschüttert auch Nachbarn

■ In Polen fällt der Zloty, die Börse erreicht Tiefstwerte. Dabei ist die Abhängigkeit von Rußland längst nicht mehr so groß wie früher

Warschau (taz) – Die Broker an der Warschauer Wertpapierbörse können sich auf die Analysen der Wirtschaftsinstitute nicht mehr verlassen. Seit Tagen sinken die Kurse, der Zloty verliert dramatisch an Wert. Die Rubelkrise in Rußland wirkt sich auch auf Polen aus. Dennoch sind die Wirtschaftsexperten im Lande jeden Tag von neuem „überrascht“ über den Verfall der polnischen Währung und die neuesten Tiefstwerte an der Warschauer Börse.

Am Wochenende wurde der Dollar für die bisherige Rekordsumme von 3,75 Zloty gehandelt, auch die Mark stieg auf 2,11 Zloty und liegt nun schon fast zwei Wochen über der Zwei-Zloty-Marke. In den Wechselstuben liegen die Kurse für die westlichen Leitwährungen sogar noch etwas höher. Der Beruhigungsformel polnischer Wirtschaftsexperten, vor allem Deutschland werde als größter Handelspartner Rußlands unter der Rubel-Abwertung leiden, hat an Überzeugungskraft verloren. Zum einen schlagen deutsche Banken nicht Alarm, da fast alle größeren Transaktionen durch staatliche Hermesbürgschaften abgesichert sind. Andererseits stoßen immer mehr Aktienbesitzer russische Papiere ab. Bei der Gelegenheit trennen sich viele auch gleich von ukrainischen, tschechischen und polnischen Aktien. Pawel Tarnowski, ein Mitarbeiter der Raiffeisenbank in Polen, bestätigt: „Das funktioniert wie im Schneeballsystem, am Ende ziehen die Aktionäre ihre Wertpapiere aus den mitteleuropäischen Reformländern, und das heißt auch aus Polen, ab.“ Laut Dariusz Kowalczyk von der Industrie- und Handelsbank (BPH) in Warschau ist in den letzten Tagen mehr als eine Milliarde Dollar aus Polen abgeflossen.

Dennoch gebe es keinen Grund zur Panik, sagt Cesary Jozefiak vom Geldpolitischen Rat, dem höchsten Gremium der Nationalbank. Die Wirtschaft sei stabil, der Zloty relativ stark, und auch die ausländischen Investoren würden bald auf den polnischen Markt zurückkehren. Seiner Ansicht nach hängt die weitere Entwicklung auf den ost- und mitteleuropäischen Börsen vom Reformwillen der russischen Regierung ab. Wenn es den Russen nicht gelingen sollte, die ausländischen Investoren davon zu überzeugen, daß die Wirtschafts- und Finanzkrise mittelfristig überwunden werden kann, würden diese ihr Kapital auch aus den mittelosteuropäischen Reformländern abziehen – also auch aus Polen.

Andere Experten sind optimistischer. Immerhin habe sich in den letzten Wochen gezeigt, daß die Börsen in Warschau, Budapest und Prag schon eigene Wege gingen. Die Wirtschaft dieser Länder floriere, der Großteil des Handels werde längst schon mit den Ländern der Europäischen Union getätigt, heißt es. Rußland sei immernoch ein wichtiger Handelspartner, doch die Krise habe sich ja seit langem angekündigt. Die kurzfristigen Einbrüche an den mitteleuropäischen Börsen seien eher psychologisch zu erklären als mit einem tatsächlichen Konjunkturabschwung in Polen, Ungarn oder der Tschechischen Republik. Realwirtschaftlich gesehen brauche man sich keine größeren Sorgen machen.

Die Broker in Warschau, Budapest und Prag aber bekommen trotz guter Wirtschaftsdaten den Auftrag „Verkaufen“. Und so sind letzte Woche die Börsenindizes aller drei Reformländer um zweistellige Werte gesunken. Nach dem Einbruch der Warschauer Börse am Freitag scheint sich die Lage langsam zu stabilisieren. Finanzminister Leszek Balcerowicz warnte allerdings in einem Rundfunkinterview: „Unabhängig von der Situation unserer Wirtschaft müssen wir uns auf eine gewisse innere Erschütterung vorbereiten, weil besonders die Exportmöglichkeiten kleiner werden.“ Die Regierung müsse alles daransetzen, das Vertrauen der westlichen Wirtschaftspartner in die Stabilität des Reformlandes Polen zu stärken. Es müsse deutlich werden, daß Polen nicht mehr ein Satellitenstaat Moskaus sei. Gabriele Lesser