Waigels Steuer steuert der SPD entgegen

Eigentlich sollte es eine Wahlkampfshow werden, die Haushaltsdebatte im Bundestag. Doch CSU-Finanzminister Waigel unterbreitete Vorschläge zu einer Steuerreform, wie sie in Teilen seit langem die SPD verlangt  ■ Aus Bonn Markus Franz

Ausgerechnet in der letzten Sitzung des Bundestages dieser Legislaturperiode, zu Beginn der Haushaltsdebatte 1999, war für einen Moment der parlamentarische Frieden eingekehrt. Auf einmal schienen alle Unterschiede zwischen Koalition und Opposition beseitigt, aller Zwist und Hader der vergangenen vier Jahre Makulatur. Zwar kann der Etat wegen der Bundestagswahl ohnehin erst im Frühjahr 1999 verabschiedet werden. Zwar war deshalb eine reine Wahlkampfveranstaltung erwartet worden. Und natürlich redete Finanzminister Theo Waigel fast mehr über die Nichtsnutzigkeit des SPD-Kanzlerkandidaten als über Haushaltszahlen. Aber dann, o Wunder, stellte Waigel eine Steuerreform in Aussicht, die den Vorstellungen der SPD erstaunlich nahe kam.

Für 1999 schlug er eine Senkung des Eingangssteuersatzes von 25,9 Prozent auf 20 Prozent und des Spitzensteuersatzes von 53 Prozent auf 47 bis 48 Prozent vor. Die Hälfte des Entlastungsvolumens solle zur Hälfte durch das Schließen von Steuerschlupflöchern wieder hereingeholt werden. Die Nettoentlastung betrage zehn Milliarden Mark. Zehn Milliarden, das ist die Summe, die auch die SPD neuerdings, nachdem die Einigung über die Steuerreform glücklich gescheitert war, bei einer Steuerreform an die Bürger weitergeben möchte. Und zwischen 48 Prozent Spitzensteuersatz und 49 Prozent, wie sie die SPD aus Gründen der Unterscheidbarkeit zur Union gefordert hat, liegen keine Welten mehr. Voller Genugtuung erwiderte SPD-Parteichef Oskar Lafontaine, der Vorschlag Waigels komme ihm doch irgendwie bekannt vor. Dennoch hatte er was zu meckern: Der von der CDU vorgeschlagene Tarifverlauf werde mehr als 20 Milliarden Mark kosten.

Ja, die Zahlen. Müssen sie denn immer alle Ansätze von Verständigung zerstören? Wer Waigel lauschte, mußte an goldene Zeiten denken: Die Nettokreditaufnahme sinkt zum vierten Mal in Folge und liegt mit 56,2 Milliarden Mark unter dem Soll von 1988. Die Arbeitslosigkeit ist seit Jahresbeginn um 700.000 zurückgegangen. Das Wachstum ist im ersten Quartal 1998 um 3,8 Prozent gestiegen. Der Preisanstieg im Juli betrug nur noch 0,9 Prozent, der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. Die Zinsen bewegen sich auf dem niedrigsten Niveau seit Jahrzehnten.

Aber ach, wie traurig macht sich das Schicksal des Landes im Lafontainschen Zahlenkleid aus: Die Arbeitslosigkeit liegt mit durchschnittlich 4,3 Millionen so hoch wie noch nie zuvor. Das sind 600.000 mehr als 1994. Die Steuer- und Abgabenlast (42,1 Prozent) war noch nie so groß, ebenso wie die Schuldenlast: 26 Prozent der Steuern müssen für Zinsen ausgegeben werden. Auch der grüne Haushaltsexperten Oswald Metzger ließ Waigels Zahlen verblassen. Waigel habe nur die Wachstumszahlen vom ersten Quartal genannt. 1999 erwarteten Experten nur ein Wachstum von zwei Prozent. Der Haushaltsentwurf beruhe aber auf einer Wachstumsannahme von 2,5 Prozent. Und der geringe Anstieg der Neuverschuldung von 0,4 Prozent sei nur möglich, weil Ausgaben auf die Zukunft verlagert würden. Heute geht es mit der Haushaltsdebatte weiter. Diesmal mit Zahlen von Kohl und Schröder. Das ist vielleicht ein „Zahlat“.