Verdrängte Erinnerungen und Sprachlosigkeit

■ Ein Dokumentarfilm über den Holocaust: „Drei Schwestern“ von Tsipi Reibenbach im fsk

Kann man einen Film über den Holocaust machen, in dem keine Bilder vom Holocaust vorkommen, in dem gar nur äußerst selten über den Holocaust gesprochen wird? Man kann, wie Tsipi Reibenbach in ihrem Dokumentarfilm „Drei Schwestern“ beweist, in dem sie ihre eigene Mutter Fruma und deren Schwestern Karola und Ester begleitet, die alle drei die Naziherrschaft als junge Frauen in Arbeitslagern überlebten und nun in Israel leben. „Drei Schwestern“ ist in gewisser Weise die Fortsetzung des vier Jahre älteren „Wahl und Schicksal“, in dem Reibenbach ihre Mutter und ihren inzwischen verstorbenen Vater porträtierte.

Es ist ein Film geworden über die Sprachlosigkeit angesichts der Tragödie. Karola, die Älteste, spricht niemals selbst von ihren Erfahrungen, fast könnte man meinen, sie versteckt sich hinter ihrem Alter. So muß Fruma die Erinnerungsarbeit leisten und niederschreiben, was ihr die ältere Schwester erzählt hat. Während sie schreibt, spricht sie leise mit: „Karola brach in Tränen aus...“ und wiederholt fast ungläubig „in Tränen aus... in Tränen aus...“, als wundere sie sich selbst, daß ihre so kalte Schwester früher einmal, damals, Regungen gezeigt hat. Aber ihre eigenen Erinnerungen verschließt auch Fruma weiterhin.

Nur Ester, mit 70 Jahren die Jüngste, erzählt offen vom Lager. Sie ist die einzige, die direkt mit der Kamera kommuniziert. Sie berichtet von den stundenlangen Zählapellen, seit denen sie Krampfadern hat. „Es macht mich wütend, so schnell alt geworden zu sein“, erzählt sie ihrer Nichte und versucht nachzuholen, was ihr versagt blieb. Wenn sie ihren bettlägerigen Mann im Pflegeheim besucht, malt sie sich die Lippen an, und beim Kartenspiel mit den Freundinnen erzählt man sich romantische Geschichten, ganz so, als hätte man sie gerne selbst erlebt, und seufzt dabei. In einer der schönsten Szenen des Films, am Grab ihres Ehemanns, der während der Dreharbeiten starb, weigert sich Ester vehement, schon zu Lebzeiten sich um ihre eigene letzte Ruhestätte zu kümmern.

Immer wieder und dann urplötzlich bekommen die unscheinbaren Bilder Kontakt zur Geschichte. Ein Lagername fällt, oder beim Blutdruckmessen wird Isars eintätowierte Lagernummer am Arm sichtbar. Im Nebensatz erfährt man, daß er einer der Juden war, die Oskar Schindler rettete. In diesen Momenten wird aus dem Familientagebuch das Beispiel für die Tragödie einer ganzen Generation. Daß manches Telefongespräch inszeniert wirkt, der Film überhaupt handwerklich besser sein könnte, wird da zur Nebensache. Das Elend, das unsichtbar schien, wird sichtbar. Und die Verzweiflung darüber, zwar überlebt, aber das Leben vergeudet zu haben, ist manchmal kaum auszuhalten.

Darf man einen Film machen, in dem der Holocaust nicht mehr die Vernichtungsmaschinerie ist, die die Opfer in Millionen zählte? Darf man einen Film machen, in dem der Holocaust zur persönlichen Katastrophe reduziert wird? Man muß, denn nur so wird das Leid der Millionen erst nachvollziehbar. Thomas Winkler

fsk am Segitzdamm, Kreuzberg