■ Die Haushaltsdebatte zeigt: Die Große Koalition rückt näher
: Einig wie nie

Das Duell zwischen Kohl und Schröder sei nur Show, das Parlament würde als Wahlkampfarena mißbraucht – so lautete der Generalvorwurf im Vorfeld der gestrigen Haushaltsdebatte, den man auch in seriösen Blättern lesen konnte. Diese Kritik ist bigott – und sie fällt auf die Medien zurück. Warum soll das Parlament nicht die Bühne sein, auf der die beiden Kanzlerkandidaten drei Wochen vor der Wahl auftreten? Der Einwurf, daß Sachpolitik – der nächste Haushalt – Propagandazwecken geopfert würde, klingt kleinkariert. Wenn wir den Haushaltsentwurf nicht eingebracht hätten, so Kohl gestern gut gelaunt, „hätte es geheißen, daß die Koalition nicht einmal mehr das zuwege bringt“. Damit hat der Kanzler schlicht recht. Hinter dem antiparlamentarischen Genörgel steckt der geheime Neid, daß die zentrale Wahlkampfkonfrontation nicht in den Medien stattfand, sondern eben im Parlament – einem Ort mit eigenen Gesetzen, der sich der totalen Mediatisierung von Politik versperrt.

Stupide ist auch der Vorwurf, die Haushaltsdebatte sei eine leere Inszenierung, eine überflüssige „verbale Redeschlacht“, so Christa Luft (PDS). Lassen wir die Frage beiseite, wie wir uns eine nonverbale Redeschlacht auszumalen hätten und welche Art von Schlacht Frau Luft sich wünscht – aus dieser Kritik tönt ein Antiparlamentarismus, der an die Geringschätzung des Parlaments als „Schwatzbude“ aus der Weimarer Zeit erinnert.

Gleichwohl ist diese Kritik derzeit populär. Der Wahlkampf wirkt leer, ihm fehlt ein Zentrum. Die CDU/CSU sucht verzweifelt nach Themen und nimmt, was des Weges kommt: Erst eröffnete man mit Fanfarenstößen den Lagerwahlkampf; doch der fiel aus, weil Schröder und Lafontaine überzeugend von der Großen Koalition redeten. Seit Kohl sich in einem Interview Freundlichkeiten zu den Grünen entlocken ließ, bleibt der CDU nur noch die vage Hoffnung auf Rettung aus Moskau. Die SPD dagegen wirkt wie ein Konfirmand, der nichts falsch machen will und sehnsüchtig auf das entscheidende Datum wartet.

Der Wahlkampf ist aus drei Gründen langweilig: Zum einen versucht die SPD, inhaltliche Festlegungen so weit wie möglich zu vermeiden. Zweitens fehlt ein zentrales Thema. Daran ist freilich nicht die Politik schuld; denn unklar ist, welches Thema die Gesellschaft verhandelt wissen will. Die Unzufriedenheit mit dem Wahlkampf ist die Unzufriedenheit einer politisch stillgelegten Gesellschaft mit sich selbst.

Der entscheidende Faktor ist ein parteipolitischer: SPD und CDU sind sich in den wesentlichen Fragen einig wie nie. Deshalb wirkte der rhetorische Theaterdonner von Kohl und Schröder gestern etwas bemüht. Außenpolitisch stehen ohnehin keine Richtungsentscheidungen an. Die Haushaltsdebatte verdeutlichte nun, daß man sich auch steuerpolitisch näher ist, als beiden Parteien im Wahlkampf lieb sein dürfte.

Theo Waigel hat vorgeschlagen, schon in vier Monaten die Steuern um 10 Milliarden zu senken und dies zur Hälfte durch das Schließen von Steuerschlupflöchern zu finanzieren. Damit hat die CDU/ CSU weite Teile des ursprünglichen SPD-Konzepts übernommen. Daß Waigel diesen Vorschlag drei Wochen vor der Wahl macht, zeigt, wie konfus die Taktik der CDU/CSU derzeit ist: Unsicher schwankt man zwischen schroffen Angriffen auf die SPD und Kompromißangeboten, die eher wie zufällig, wenn nicht gar unbeabsichtigt wirken.

Waigels Schwenk ist das Echo auf Schröders Ankündigung, daß er als Kanzler eine grundlegende Steuerreform am liebsten gemeinsam mit der CDU durchbringen will. Gewiß gibt es Unterschiede zwischen den beiden Volksparteien: Die SPD hat die teilweise Rücknahme der Rentenkürzungen und die Erhaltung von Steuervorteilen für Schichtarbeiter und Pendler auf ihre Fahne geschrieben. Doch auch in diesen, symbolisch wichtigen, Fragen sind Kompromisse denkbar – zumal die SPD in diesen Punkten starke Bataillone in den CDU-Sozialauschüssen auf ihrer Seite weiß. Allem pflichtschuldig absolviertem Wahlkampfgetöse zum Trotz: In Bonn deutet so einiges auf eine Große Koalition hin. Stefan Reinecke